Die Zuckerbäckerin
auf. Bevor sie um die nächste Ecke biegen konnte, sah sie Leonard auf sich zukommen. Sie war ihm aus dem Weg gegangen, so gut es ging. Manchmal hatte sie allerdings das Gefühl, als verfolge er sie absichtlich, geradeso, als ahne er etwas von ihren Seelenqualen und wolle sie in guter Absicht trösten. Doch um ein Gespräch unter zwei Augen zu verhindern, bei dem sie womöglich mehr verraten hätte, als für Sonia gut gewesen wäre, hatte sie krampfhaft die Gegenwart anderer gesucht. Doch hier drauÃen im Hofgarten konnte sie ihm nicht mehr ausweichen.
»Hallo, Leonard! Du scheinst ja viel zu tun zu haben! Wann immer ich dich sehe, rennst du wie von einer Hummel gestochen an mir vorbei.« Durch diese schamlose Umkehrung der Dinge hoffte sie, Leonard von gefährlichen Fragen abzuhalten. Ich werde nicht einmal rot dabei, durchfuhr es sie, während sie Leonards verständnislosen Gesichtsausdruck registrierte.
In der Frühlingssonne glänzten seine Haare wie poliertes Kupfer, doch stach sein Gesicht selten bleich darunter hervor.
Der würzige, vertraute Geruch verglühter Holzkohle, der von ihm ausging, lieà Eleonore plötzlich ganz ruhig werden. Vielleicht war es falsch gewesen, ihm auszuweichen. Hätte sie nicht vielmehr das Gespräch mit Leonard suchen sollen?
Er griff in seine Hosentasche und zog ein Papierbündel hervor. »Gut, daà ich dich endlich einmal alleine treffe. Wir müssen miteinander reden.«
Keine BegrüÃung, kein Scherz kam über Leonards Lippen, während er die zerknitterten Papiere wie ein Schutzschild vor sich hielt.
»Was gibt es denn?« Ein eisiger Griff umklammerte ihr Herz und drohte es zu zerquetschen. Woher hatte Leonard von Sonias Unglück erfahren?
Er schaute sie an. »Ich hättâ schon längst mit dir reden sollen, aber irgendwie habâ ichâs immer wieder aufgeschoben. Und du warst auch die ganze Zeit auf dem Sprung. Doch jetzt kann ich nicht mehr anders.«
Erst jetzt fiel Eleonore auf, daà Leonard ganz verändert aussah. Auf seinem Gesicht zeichneten sich schmale Furchen ab. Selbst sein Kinn schien kantiger und der Zug um seinen Mund härter. Das Unglück, das sich in seinen Augen spiegelte, muÃte sein eigenes sein, erkannte sie auf einmal. Mit Sonia konnte seine gedrückte Stimmung nichts zu tun haben. Sie nahm seine Hand. »So rede doch! Was kann denn so schlimm sein, daà du es mir nicht erzählen magst?«
»Ich gehe weg. Schon bald. Nach RuÃland.«
»Das geht nicht«, entfuhr es ihr. »Ich brauche dich doch!«
Gequält blickte er sie an. »Ich weiÃ. Und ich brauche dich. Deshalb will ich dich fragen, ob du nicht mit mir kommen willst.«
Eleonore schüttelte den Kopf. »Mitkommen? Ich? Wie stellst du dir das vor? Und Sonia? Ich kann sie doch nicht alleine lassen!« Und jetzt schon gar nicht, wollte sie am liebsten hinzufügen.
Leonard tat, als ob er sie nicht gehört habe. Er zeigte auf die Papiere. »Das sind Briefe von Michael, meinem Bruder.Du weiÃt, der mit dem Hof in Kreuchingen auf der Alb. Von dem habâ ich dir doch schon erzählt.«
»Ja. Er und Karla und die drei Buben und drei Mädchen. Ich weiÃ.«
Leonard nickte. »Die beiden kleinsten sind vor ein paar Wochen gestorben, schreibt er in seinem letzten Brief. Am Winter und am Hunger, schreibt er. Und daà er nicht mehr weiterweiÃ, schreibt er ebenfalls. Der Boden gibt einfach nicht genug her droben auf der Alb. Zu viele Steine, zuwenig Saatgut, die letzten zwei MiÃernten â es geht einfach nicht mehr. Er kriegt seine Familie nicht mehr satt!« Dumpf schüttelte Leonard den Kopf. »Das können wir uns nicht vorstellen, nicht wahr?« Spöttisch deutete er auf die gelbleuchtenden Gemäuer des Schlosses. »Hier drinnen weià vom Hunger im Land niemand etwas, da können sie behaupten, was sie wollen!«
»Das ist nicht wahr. Unsere Königin tut doch alles menschenmögliche, um die Armut im Land zu bekämpfen. Und der König ebenfalls.«
»Soll das ein Trost sein? Sicher, sie bemühen sich, und in der Stadt mögen ihre Bemühungen auch fruchten. Doch drauÃen, auf dem Land, da sieht es anders aus. Da verhungern die Leutâ â so einfach ist das. Auch Michaels Familie wird verhungern, wenn er nicht weggeht. Und er hat mich gebeten, ihn zu begleiten. Zwei Männer schaffen mehr als
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