Die Zuckerbäckerin
meinem geliebten Württemberg in kürzester Zeit gelingen wird. Wenn man bedenkt, daà Du gerade erst ein Jahr in Deiner neuen Heimat weilst! Und wieviel Steine, nein, Berge Du schon bewegt hast! Wobei so manch nüchternes Herz das gröÃte Hindernis gewesen sein dürfte â¦
Geliebte Tochter, mit groÃer Sorge habe ich Deine Bitte vernommen, ich möge Dir alles mitteilen, was ich über den Tod von Auguste Karoline weiÃ. Ich bete für Euch, daà Wilhelm die traurige Geschichte um seine Mutter endlich vergessen kann! Doch weià wohl niemand besser als ich, wie sehr die Vergangenheit einen Menschen ein Leben lang beschäftigen kann ⦠Sehr viel ist es nicht, was ich darüber weiÃ, denn zu dieser Zeit war ich selbst noch ein junges Ding und hatte tausend Dinge im Kopf! Karoline und ich hatten eigentlich herzlich wenig Kontakt, sie hielt sich viel lieber an Deine GroÃmutter und wurde von dieser verwöhnt wie ein SchoÃhündchen. Manchmal war ich ob des innigen Verhältnisses der beiden sogar ein wenig eifersüchtig, man stelle sich das vor! »Selmires« wurde Karoline von Katharina gerufen, das weià ich noch, als wäre alles erst gestern gewesen. Doch das ist leider fast schon alles! Bevor ich Dich mit ein paar Floskeln abspeise, bitte ich Dich lieber um ein wenig Geduld: Im Augenblick bin ich dabei, einige Erkundigungen anzustellen. Alexander, dem ich Dein Anliegen vorgetragen habe, hat versprochen, mirdabei zu helfen. Wenn Gott will, werde ich Dir schon im nächsten Brief mehr berichten können. Obwohl meiner Ansicht nach solch unselige Geschichten am besten im dunkeln verborgen bleiben â¦
Liebes Kind, laà mich auf etwas Erfreulicheres zu sprechen kommen: Ich kann Dir nur zustimmen, wenn Du behauptest, daà die staatliche Fürsorge streng geregelt werden sollte. Nur wenn Almosen einheitlich und nach bestimmten Richtlinien ausgegeben werden, und dies im ganzen Land gleich gehandhabt wird, kann es Deinem Wohltätigkeitsverein wirklich gelingen, die Löcher der Armut zu stopfen. Aber sei gewarnt: Die Menschen werden es Dir nicht überall danken, daà Du ihre Armut von königlichen Beamten durchleuchten läÃt! Und auch die Pfarrersfrau in einem kleinen Dorf, die bei der Verteilung ihrer kärglichen Almosen bisher selbst wie eine Königin dastand, wird von Deinen Beamten nicht gerade begeistert sein. Genausowenig wie die unzähligen Dorfvorsteher, die mit den Armen nach ihrem Gutdünken umspringen konnten, bis nun Deine Beamten diese Idylle stören! Verärgere diese Menschen nicht, denn nur wenn ihre Hilfeleistungen mit denen des Landes vereint werden, seid ihr stärker als die Armut! Es sei Dir daher angeraten, mit äuÃerster Finesse vorzugehen. Aber was schreibe ich da? Sicherlich haben Deine vorzüglichen Berater Dich schon lang und breit mit diesen notwendigen Ãbeln gelangweilt, während Du, geliebte Tochter, in Deinem Schaffensdrang schon zwei Schritte weiter warst, nicht wahr? â¦
Die Sonne warf gleiÃende Streifen auf das eierschalenfarbene Briefpapier und machte so das Lesen mühsam. Nach wenigen Minuten wurde es ihr in der Fensternische unangenehm warm, und sie raffte erneut ihren Rock zusammen, um einen dunkleren Ruheplatz aufzusuchen. Das grelle Licht hatte das dumpfe Pochen in ihrem Kopf in heftige Kopfschmerzen verwandelt, und sie hatte das Gefühl, als würden ihre Augen wie die einer Porzellanpuppe von starrenDrähten gehalten. Seufzend faltete sie den Brief ihrer Mutter zusammen. Wie gerne hätte sie sich niedergelegt und in einem verdunkelten Raum ihrem Schmerz hingegeben, statt sinnlos gegen ihn anzukämpfen! Doch ihr Gewand und ihre kunstvolle Frisur würden selbst ein kurzes Ruhen nicht verzeihen. So lehnte sie sich mit dem Brief in der Hand an die kühle Wand und schloà für einen Moment die Augen. Dann trat sie ans hintere Fenster und öffnete es einen Spalt. Hier, wo die Sonne noch nicht hinreichte, war es angenehm frisch, und die dunkelgrünen Wipfel der Bäume warfen lange Schatten auf die Wände des Schlosses. Sie atmete tief durch und versuchte, ihre Augen aus ihrer Starrheit zu befreien. Ihr Blick fiel hinüber zum Gemüsegarten, wo sich ein Mann und eine Frau temperamentvoll miteinander unterhielten. Den Mann kannte sie nicht bei Namen, sie staunte nur über seine feuerroten Haare, aber das Mädchen â war das
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