Die Zuckerbäckerin
Uhr. Sie wollen die Kuchen und das Gebäck für die Feierlichkeiten doch erst heute nachmittag abholen?«
»Das schon. Aber dich wollen sie schon um zwölf Uhrabholen, habe ich gerade von Fräulein von Baur erfahren. Du und Sonia sollt mal wieder mit zu dieser Einweihungsfeier. Daà sich einer von denen Gedanken macht, wie ich die ganze Arbeit alleine schaffen soll â daraufkommt niemand!« Vorwurfsvoll strich sie sich eine widerspenstige Haarsträhne aus dem Gesicht. »Ich möchte mal wissen, was ihr mit dieser neuen Mädchenschule zu schaffen habt. Nur weil du ein- oder zweimal der Königin von eurer früheren Mühsal berichtet hast, scheint ihr für alle Ewigkeit Katharinas Lieblinge zu bleiben.« Lili prustete laut auf. »Soll sie doch einmal nach Stuttgart zu meiner Familie fahren! Die könnten ihr auch ein Lied davon singen, wieâs ist mit der Armut!«
»Jetzt beruhige dich wieder«, antwortete Eleonore heftiger, als sie eigentlich wollte. »Ich kann doch auch nichts dafür, wenn die Königin uns zu allen möglichen Anlässen rufen läÃt.« Innerlich machte ihr Herz jedoch einen kleinen Freudenhüpfer. Katharinas Geste war genau im richtigen Augenblick gekommen und schaffte es, das schwarze, dunkle Loch in ihrem Herzen mit Licht und Freude zu füllen. Nun, dann muÃten sie und Lili eben noch zügiger arbeiten als sonst, das war Eleonore die Einladung wert. Mit einem Ruck stand sie auf und folgte Lili ins Schloà zurück.
Auf halbem Weg blieb Lili plötzlich stehen, und Eleonore konnte gerade noch bremsen, um nicht auf die Zuckerbäckerin aufzulaufen. Die Sonne warf durch die grünen Baumkronen gelbe Streifen auf das Gesicht der Ãlteren. Ihr Blick war müde und glasig. »Lorchen, es tut mir leid. Ich freuâ mich ja für dich. Es ist nur so â¦, die Hitze macht mich müde und â¦Â« Sie zuckte mit den Schultern.
»Ja, was ist denn?« fragte Eleonore unwillig nach, nicht bereit, Lili die harschen Worte sofort zu vergeben.
»Ach, ich weià auch nicht. Schon seit Tagen bin ich so erschöpft, daà ich mich flach auf dem Boden ausstreckenkönnte. So kennâ ich mich gar nicht. Oder habe ich schon jemals etwas verbrennen lassen?«
»Nein«, antwortete Eleonore kurz angebunden. Es war wirklich noch nie vorgekommen, daà Lili einen Kuchen zu spät aus dem Ofen geholt hatte. Gerade deshalb hatte sie das Donnerwetter, das Johann auf die Zuckerbäckerin herabprasseln lieÃ, für ungerecht gehalten. Wahrscheinlich steckte seine Schelte Lili noch heute in den Knochen.
Sehnsüchtig betastete sie die dicken Papierseiten von Leonards Brief in ihrer Rocktasche. Eigentlich hatte sie vorgehabt, Lili jede Einzelheit daraus zu berichten, aber jetzt war ihr die Lust daran vergangen. Mit verschlossener Miene raffte sie ihren Rock zusammen und lief weiter.
Daà nun auch Lili anfing, ihr die königlichen Einladungen zu miÃgönnen, wie die meisten anderen auch, tat weh. In den letzten Monaten, während sie Tag für Tag so eng miteinander arbeiteten, hatte sich eine Vertrautheit zwischen den beiden eingestellt, die Eleonore viel bedeutete. Noch nie zuvor war sie mit einer Frau befreundet gewesen. Früher, auf der StraÃe, hatten Freundschaften keinen Platz gehabt. Ihre Verbindung zu Sonia hätte sie nicht als Freundschaft bezeichnen wollen. Sonia war ihre Schwester. Manchmal, wenn Eleonore sich über eine von Sonias Verrücktheiten geärgert hatte, kam ihr der Gedanke in den Sinn, daà sie Sonia vielleicht gar nicht sonderlich mögen würde, wenn diese nicht gerade ihre Schwester wäre. Aber solche Gedanken schob sie schnell wieder zur Seite, brachten sie doch eh niemandem etwas ein. Sonia war ihre Schwester, und das war das Ende vom Lied. Als sie sich dagegen entschieden hatte, Leonard zu folgen, war dies gleichzeitig eine Entscheidung für Sonia gewesen. Eleonore konnte nicht behaupten, daà völliger Undank der Lohn für ihr schweres Opfer gewesen sei: Sonia bemühte sich tatsächlich viel eher als früher darum, ihrer Schwester zu gefallen. Auch drücktesie sich bei weitem nicht mehr so oft um unangenehme Arbeiten und war wie alle anderen manchmal von früh bis spät in der Küche beschäftigt. In ihrer freien Zeit ging sie jedoch nach wie vor ihre eigenen Wege, und Eleonore hatte aufgehört zu fragen, wohin sie diese
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