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Die Zuckerbäckerin

Die Zuckerbäckerin

Titel: Die Zuckerbäckerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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geläufig. Die Anschauung der Pregianzer, was die Sünde betraf, erschien ihm jedoch ein wenig zu simpel. Kein Wunder, daß die Leute von manchen als »Galopp-Christen« bezeichnet wurden. Eine Taufe dauerte doch meist nicht länger als eine Stunde – und das sollte für ein ganzes Leben reichen?
    Obwohl sie in ihrem Äußeren rein gar nichts mit ihr gemein hatte, erinnerte Barbara ihn an Sonia. Schon deshalb war er dem Weib nicht sonderlich zugetan, mochte sie seine männliche Begierde auch noch so anheizen. Sonia, wegen der Eleonore daheimgeblieben war. Als er spürte, daß Barbara ihn noch immer aus den Augenwinkeln beobachtete, packte er rasch seinen Tabakbeutel aus und begann, sich seine Pfeife mit türkischem Tabak zu stopfen. Am Ende bildete sich das Luder noch etwas ein! Diese Genugtuung wollte er ihr nicht gönnen, nachdem schon sein Körper ihren Reizen gegenüber hilflos ausgeliefert war.
    Nachdem er wegen des starken Windes fünf Zündhölzer vergeudet hatte, gelang es ihm endlich, die Pfeife zum Glühen zu bringen. Er nahm einen tiefen Zug. Noch nie zuvor in seinem Leben hatte er geraucht, doch in den letzten Wochen war er zu einem starken Raucher geworden. Die Sorge, beim nächsten Halt keinen Tabak zu bekommen, erschien ihm zeitweise genauso schlimm wie die Sorge um Lebensmittel. Natürlich wußte er, woher die plötzliche Vorliebe für den schwarzen Tabak kam: Das Rauchen bedeutete Flucht. Flucht vor der Enge und ihren menschlichen Gerüchen. Flucht vor der Krankheit und dem Husten, vor den blutigen Auswürfen seiner Schwägerin Karla, die dieseneuerdings mit jedem Hustenanfall ausspuckte. War Leonard an Deck, eingehüllt in den würzigen Pfeifenrauch, konnte er all dies vergessen. Der Rauch erinnerte ihn an seine frühere Arbeit auf dem Stuttgarter Schloß. Er fühlte sich durch den weißen Qualm wie gereinigt, ihm war, als würde er mit jeder Pfeife die Gefahren der vielen ansteckenden Krankheiten, die mit ihnen auf dem Schiff lungerten, ausräuchern und so für sich selbst unschädlich machen. Bisher hatte es genutzt, dem Himmel sei Dank. Wenn er an die vielen Kranken und Toten auf dieser Reise dachte, wurde ihm kalt ums Herz. So viele verlorene Träume, so viele Reisen ins Nichts. Auch Fritz, Michaels jüngster Sohn, und Regine, seine um ein Jahr ältere Schwester, hatten ihr Leben lassen müssen. Tag für Tag waren ihre Körper immer weniger geworden, bis sie auf einmal aufgehört hatten zu atmen. Leonard rechnete nach. War es wirklich erst fünf Tage her, daß Peter Gertsch das letzte Gebet für die beiden gesprochen hatte?
    Endlich verzog sich Barbara wieder, und er setzte sich mit dem Rücken an die Schiffswand, zog einen zusammengefalteten Bogen Papier aus seiner Brusttasche, glättete ihn und begann, einen Brief an Eleonore zu schreiben. Er wußte, daß es Wochen dauern würde, bis er den Brief aufgeben konnte. Und daß es danach wieder Wochen dauern würde, bis Eleonore ihn in der Hand hielte. Trotzdem ließ er sich nicht davon abhalten, seine Gedanken auf Papier zu bringen. Am liebsten hätte er Eleonore nur aufregende Episoden oder lustige Zwischenfälle an Bord beschrieben und die ganzen Todesfälle, Krankheiten und Gemeinheiten außer acht gelassen. Andererseits fühlte er sich zu einem aufrichtigem Bericht über die Reise verpflichtet, denn hoffte er nicht immer noch darauf, Eleonore möge eines Tages dieselbe Reise antreten? Sollte dies jemals der Fall sein, so wollte er, daß sie den Strapazen mit offenem Auge entgegentreten undnicht mit verklärtem Blick eine böse Enttäuschung nach der anderen erleben würde. Kaum hatte er die ersten Buchstaben auf Papier gebracht, wanderte sein bröckeliger Kohlestift wie von selbst über die nächsten Zeilen:
    Geliebte Eleonore,
    wieder sitze ich auf einem Schiff, wieder haben wir einen Hafen verlassen. Diesmal war es der von Vidin, einer türkischen Stadt, in der wir drei Tage Aufenthalt hatten. Hast Du meinen letzten Brief aus Wien bekommen? Ich hoffe es so sehr und habe doch keine Möglichkeit, dies jemals zu erfahren.
    Als wir uns in Stuttgart das letzte Mal sahen, war Frühling. Und jetzt? Jetzt sind wir schon mitten im Hochsommer. Daheim, droben auf der Alb, werden sie die klägliche Getreideernte einbringen, sagt Michael und hat dabei einen recht verzagten Gedichtsausdruck, wenn er

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