Die Zuckerbäckerin
gepackt, ihre Röcke hochgeschoben und wie von allen guten Geistern verlassen in sie hineingestoÃen. Es war auch schon vorgekommen, daà er sie in den langen, unterirdischen Gängen des Theaters an irgendeine Wand drängte und im Stehen nahm. Zuerst hatte Sonia sich von seiner plötzlich entfachten Fleischeslust und seinen leidenschaftlichen Ãberfällen geschmeichelt gefühlt. Einmal, mitten am Tag, waren sie dabei von Tobias überrascht worden. Ohne die Spur von Schamhatte sie ihm über Gustavs Schulter herausfordernd in die Augen geschaut, während Gustav gar nichts davon bemerkte. Für eine Schrecksekunde war Tobias wie angewurzelt stehengeblieben. Sein Entsetzen über Sonias Schamlosigkeit, der heimliche Schmerz des verstoÃenen Liebhabers und die peinliche, nicht zu unterdrückende Lust bei dem Anblick, wie der ihm vertraute Leib von einem anderen in Besitz genommen wurde, spiegelten sich heftig in seinem jungen Gesicht wider. Tagelang war er danach mit gesenktem Kopf und einer selbstmitleidigen Miene herumgeschlichen, und Sonia hatte sich an ihrer Macht ergötzt, die sie über die Männer des Theaters hatte.
Erneut hielt sie mit dem Bodenputzen inne und rieb sich ihren schmerzenden Rücken. Allmählich begann sie an ihrer Macht zu zweifeln. Nicht sie inszenierte die leidenschaftlichen Zwischenfälle. Gustav war es, und sie hatte sich ihm lediglich willig zu fügen. Dabei machte es für ihn keinen Unterschied, ob sie selbst auch Lust dabei verspürte oder ob ihr seine plötzlichen Attacken eher Schmerzen bereiteten. Im ganzen Theater wurde schon darüber geredet, und Sonia hatte manchmal das Gefühl, als träfen sie nicht nur neidische, sondern auch mitleidige Blicke. War sie in den Augen der anderen nur Gustavs Hure? Eine, die herzuhalten hatte, wann immer den alternden Schauspieler die Lust überfiel? Ihrem Ziel, die überall anerkannte Geliebte des Hofschauspielers Gustav Bretschneider zu werden, war sie jedenfalls noch keinen Schritt nähergekommen!
Die vormittägliche Stille des Theaterhauses löste plötzlich Beklemmungen in ihr aus. Manchmal fühlte sie sich in den dunklen Hallen mit den vergoldeten Säulen und Wänden wie lebendig begraben! Sie schnaufte ärgerlich. Während nur zwei Türen weiter Melia Feuerwall auf ihrem mit feinster indischer Seide ausgeschlagenen Divan ruhte, um sich für die Strapazen des Abends frischzumachen, war sie,Sonia, damit beschäftigt, den kalten GranitfuÃboden des Theaters zu wischen. Strapazen â ha, daà sie nicht lachte! Melia besaà alles: die feinsten Kleider, den aufwendigsten Haarputz, Hüte der neuesten Mode â und was tat sie dafür? Sie lieà sich allabendlich auf der Bühne ohnmächtig in Gustavs Arme sinken, während Hunderte von Zuschauern der feinen Gesellschaft begeistert Beifall klatschten!
Wütend schleuderte Sonia den wasserschweren Lumpen quer durch den Raum. Sollte Melia doch auf dem feuchten Boden ausrutschen und sich eines ihrer Spinnenbeine brechen!
»Es scheint, du kannst immer noch nicht besser putzen, seit du das Schloà verlassen hast«, hörte sie auf einmal eine gutgelaunte Stimme hinter sich sagen.
»Eleonore! Was machst du denn hier?« Wie vom Schlag getroffen zuckte Sonia beim Anblick ihrer Schwester zusammen. Sie hatten sich seit Wochen nicht gesehen. Sonia sollte also eigentlich über ihren plötzlichen Besuch etwas Freude zeigen. Doch ihre Verärgerung darüber, daà Eleonore sie mit einem Putzlumpen in der Hand antreffen muÃte, war zu groÃ. In welch bunten Farben hatte sie sich oft ein Zusammentreffen mit ihr ausgemalt! Sie, die feine Dame vom Stuttgarter Theater, in ihr rosafarbenes Samtkleid mit den lila Bändern gekleidet, hätte dabei einen seidenen Sonnenschirm schwingend auf einer Parkbank gesessen, hätte Eleonore â küchenblaà und schmucklos wie immer in beigefarbenes Leinen gekleidet â freundlich, aber mit einer gewissen Distanz begrüÃt. Statt dessen muÃte sie aus der Hocke Eleonores gesunde Gesichtsfarbe, ihre wie reife Kastanien glänzenden Augen und ihr neues, wenn auch einfaches gestreiftes Kleid zur Kenntnis nehmen. Fast hätte man ihre Schwester als gutaussehend bezeichnen können!
»Sehr erfreut scheinst du ja nicht gerade über meinen Besuch zu sein!« Enttäuscht schluckte Eleonore eineweitere Bemerkung herunter.
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