Die Zuckerbäckerin
Wahrscheinlich war Melias Geliebter ein reicher Kaufmann, dessen Weib gerade eben den langersehnten Sohn und Erben zur Welt gebracht hatte. Verdammter Gustav! Würde er sie öfter mitnehmen, wäre es ein leichtes für sie, herauszufinden, um welchen feinen Herrn es hier ging! Aber irgendwann würde es ihr auch alleine gelingen!
»Eine so groÃe Künstlerin wie die gnädige Frau hat auch ein gröÃeres Herz als wir einfachen Menschen«, antwortete Sonia deshalb treuherzig. »Wer auf der Bühne so gefühlvoll spielt, muà auch im wahren Leben ein überaus starkes Empfinden haben. Ich kann nur ahnen, was Madame erleiden muÃ.«
Ungläubig starrte Melia Feuerwall zu Sonia hinüber. So viel Mitgefühl und Scharfsinn hätte sie Gustavs Spielgefährtin gar nicht zugetraut! Vielleicht waren es nicht nur ihre Jugend und die wilde Weiblichkeit, welche die anderen Theatermitglieder so in ihren Bann zogen?
Wie ein Habicht seine Beute beobachtet, so lieà auch Sonia die Hofschauspielerin nicht mehr aus den Augen. »Ein offenes Wort kann manchmal sehr hilfreich sein, wenn man glaubt, von der Last eines einsamen Geheimnisses erdrückt zu werden. Sehr gerne würde ich Ihnen helfen, Ihre Sorgen zu tragen! Doch ich könnte gut verstehen, wenn Sie Ihr Vertrauen lieber einem anderen Menschen schenken.« Sie hielt die Luft an. »Soll ich vielleicht doch rasch nach Louise schauen? Vielleicht fühlt sie sich wieder etwas besser â¦Â«
»Louise, pah!« Melias Stimme klang verächtlich. »Glaub nicht, daà ich nicht weiÃ, wie Louise hinter meinem Rücken über mich lästert! Und daà sie es mit dem Eigentum anderer nicht immer so genau nimmt, ist mir auch nicht entgangen, mag sie mich auch für noch so taub und blind halten.«Die Seidenblume schien auf einmal ein Loch in Sonias Schürzentasche zu brennen. Was, wenn Melia sie dabei beobachtet hätte, wie sie das Ding hineingeschoben hatte? Wie hatte sie so dumm sein können, wo es doch hier um viel Wichtigeres ging!
Plötzlich richtete Melia sich auf. Sie seufzte noch einmal. »Das ganze Jammern hat wirklich keinen Sinn. Viel eher sollte ich mir ernsthafte Gedanken darüber machen, wie es nun weitergehen soll.«
Sonia runzelte die Stirn. Was wollte Melia damit sagen?
Die Schauspielerin hielt ihren Kopf schräg wie ein kleiner Vogel, der einen Wurm ins Visier genommen hat. »Vielleicht hast du recht, ich sollte wirklich jemanden ins Vertrauen ziehen.« Wieder folgte ihren Worten ein Seufzen. »Wahrscheinlich werde ich sogar nicht darum herumkommen â¦Â«
Sonia rückte näher, bis sie Melia direkt zu FüÃen kniete. Sie muÃte sie ins Vertrauen ziehen, sonst ⦠Von unten suchte sie Melias verheulten Blick. »Die ganzen letzten Monate waren Sie so gütig zu mir, haben mich mit offenen Armen aufgenommen. Geben Sie mir die Möglichkeit, diese Freundlichkeit zumindest ein wenig zurückzuzahlen! Lassen Sie mich Ihre Last mittragen. Vielleicht weià ich sogar einen Rat für Ihre Sorgen.« Ihr Blick wurde dunkler, glänzender. »Ich bin viel herumgekommen. Habe viel gesehen und weià einiges über die Mannsbilder â¦Â« Die letzten Worte lieà sie verführerisch wie einen Zuckerbonbon in der Luft baumeln.
Damit hatte sie die Hofschauspielerin an der Angel. Doch was sie â überzeugt davon, ein offenes Ohr, aber auch eine verschwiegene Seele gefunden zu haben â in der nächsten Stunde zu beichten hatte, nahm selbst Sonia den Atem.
28
I ch gehâ zurück. Das warâs, was ich dir sagen wollte.«
Wie vom Schlag getroffen drehte Leonard sich zu Michael um. »Zurück?« Er wuÃte sofort, wovon sein Bruder sprach. Eine Blechdose, die er ins Regal einordnen wollte, fiel laut scheppernd auf den Boden. Seine Hände zitterten auf einmal wie die eines alten, russischen Mannes, die schwach geworden waren vom jahrelangen Wodkatrinken.
Michael hob derweil zu einem Klagelied über die russische Erde an, über das russische Wetter, die anderen Aussiedler und die Russen selbst. Wie selbstverständlich öffnete er dabei den Schrank, in dem Leonard eine Flasche Wodka für den eigenen Genuà sowie zwei Becher aufbewahrte. Er hatte sie von Leonji, dem Besenmacher, geschenkt bekommen. Leonard und Barbara hatten ihren Laden noch keine Woche geöffnet, als Leonji mit einem Armvoll Besen
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