Die Zufalle des Herzens
erzählte nichts.
Am Donnerstagnachmittag war Grady zum Spielen bei Jav verabredet. Ihre Freundschaft hatte sich erholt, seit der Golfball wieder aufgetaucht war und Jav eine befriedigende Reaktion darauf gezeigt hatte: »Das ist echt cool! Meine Mutter würde so was nie machen – die würde wahrscheinlich die Polizei rufen, wenn sie deine Mom da oben sehen würde! Dann würden die Polizisten kommen und deine Mom kreuz und quer übers Dach jagen, und sie würde sie – bumm, bumm, bumm – über den Rand runterstoßen!«
Insgeheim genoss Dana den Gedanken, dass irgendjemand sie sich als Gesetzlose vorstellen konnte. Dennoch sagte sie: »Polizeibeamte sind die Guten. Ich würde niemals versuchen, ihnen was anzutun.«
»Egal«, sagte Grady.
Jetzt, wo Grady bei Jav zu Hause und die älteren Mädchen auf einem Treffen des Wilderness Clubs waren, hoffte Dana, Morgan würde sich etwas öffnen. Sie machte ihr Toast, und während das Mädchen aß, setzte sie sich zu ihr an den Küchentisch. »Wie läuft’s in der Schule?«
»Gut.«
»Neben wem sitzt du beim Mittagessen?«
»Rita und ein paar andere Mädchen.«
»Ärgert Kimmi dich noch?«
»Nein, sie geht jetzt mit Jason Dalton-Gomez. Er ist der beliebteste Junge in der sechsten Klasse, deshalb nimmt das ihre ganze Aufmerksamkeit in Anspruch.«
»Sie geht mit ihm?« Sie waren zwölf – was mochte das wohl bedeuten? »Gehen sie tatsächlich irgend wo hin ?«
Morgan sah sie an, als hätte sie gerade gefragt, ob sie von zu Hause weggelaufen wären, um zusammen beim Zirkus anzufangen. »Das heißt nur zusammen gehen «, sagte sie. »Sie sitzen beim Mittagessen nebeneinander und schreiben sich dauernd SMS .«
Das Gespräch fühlte sich langsam mehr wie eine Befragung an, und Dana wollte Morgan nicht abschrecken. Sie stand auf, um sich eine Tasse Tee zu machen.
»Warum trinkst du diese künstliche Limonade nicht mehr?«, fragte Morgan.
Dana war überrascht – sie hatte das Zeug jahrelang getrunken und nicht mal bemerkt, dass sie damit aufgehört hatte. Beim letzten Mal hatte sie sich den Finger in den Hals gesteckt, und bei der Erinnerung daran, wie es ihr wieder hochkam, verzog sie das Gesicht. »Wahrscheinlich mag ich sie einfach nicht mehr«, sagte sie.
Morgan schnitt eine Grimasse. »Sie schmeckt wie das Zeug, das du vor dem Abstauben versprühst.«
Dana schmunzelte. »Da hast du gar nicht mal unrecht!« Sie goss sich heißes Wasser in die Tasse und setzte sich wieder an den Tisch. Morgan biss in ihren Toast, den Blick auf ihre Mutter gerichtet, die den Teebeutel eintunkte und wieder herauszog.
»Meinst du«, sagte Morgan, »wenn die Teeblätter wachsen, haben sie eine Ahnung, dass sie nur geboren wurden, damit jemand sie mit kochendem Wasser übergießen kann?«
Verschiedene Antworten fielen Dana ein, alle völlig falsch. Teeblätter haben keine Gedanken … Das heiße Wasser verletzt sie nicht … Ich bin keine Teeblattmörderin … »Das ist eine interessante Frage«, sagte sie. »Was meinst du denn?«
Morgan steckte sich rasch das letzte Stückchen Toast in den Mund und zuckte die Schultern. »Ich muss noch an meinem Referat arbeiten.«
»Ich dachte, du hättest es schon abgegeben.«
»Wir haben noch eine Verlängerung bekommen, weil die halbe Klasse letzte Woche einen Magen-Darm-Infekt hatte. Er hat gesagt, wenn wir schon fertig wären, könnten wir uns für zusätzliche Punkte noch eine andere gefährdete Art vornehmen und sie mit unserem eigentlichen Referatsthema vergleichen.« Sie stand vom Tisch auf, doch bevor sie zur Tür ging, drehte sie sich für einen Moment um. »Danke für den Toast«, sagte sie. »War echt lecker.«
Bald darauf hatte Dana Bethany eine Nachricht hinterlassen und darum gebeten, sie am nächsten Tag in der Mittagspause auf ihrem Handy zurückzurufen. Dabei hatte sie nicht geahnt, dass Tony und Marie an diesem Freitag eine kleine Abschiedsfeier für sie vorbereiten würden, komplett mit einem kleinen, runden Kuchen, den Tony im Supermarkt erstanden hatte. Darauf stand einfach DANA , denn er war zu klein, um weitere Gefühlsäußerungen aufzunehmen wie VIEL GLÜCK oder WIR WERDEN SIE VERMISSEN oder SIE WERDEN ARBEIT FINDEN UND NICHT AM ENDE MIT DEM GERICHTSVOLLZIEHER VOR DER TÜR IN KREDITKARTENSCHULDEN VERSINKEN .
Den eingegipsten Fuß auf einem Karton mit Untersuchungshandschuhen hochgelagert, saß Marie mit ihrem obligatorischen Lächeln für solche Albernheiten da. Tonys Gesicht veränderte sich dauernd, lächelnd in
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