Die Zufalle des Herzens
ganze Wochenende? Das glaube ich nicht.
»Was will Grady denn machen?«, fragte sie und verkniff sich den Kommentar, dass ihr scheißegal war, ob er sich eine Fahrt ersparte oder nicht. Grady habe schon seine Badehose an, berichtete Kenneth. Dana konnte ihn im Hintergrund murmeln hören: »Komm jetzt, Dad!« Sie waren auf dem Sprung zum Fitnesscenter. Dana sprach kurz mit Grady, der einsilbig und ungeduldig antwortete.
Sie wollte schon auflegen, als Kenneth noch einmal ans Telefon kam. »Nur eins noch …«, sagte er und klang, als müsste er all seinen Mut zusammennehmen, um etwas Unangenehmes loszuwerden. »Morgen bringe ich Tina mit zu Gradys Footballspiel.«
»Das tust du nicht«, warnte sie ihn.
»Doch«, sagte er. »Das tue ich. Es ist das letzte Spiel der Saison, und er möchte, dass sie ihn spielen sieht.«
»Verflucht noch mal, Kenneth … verflucht noch mal .«
»Ich weiß«, sagte er. »Falls das hilft, ich freue mich auch nicht gerade darauf.«
»Nein, es hilft nicht !«, brüllte sie. »Nichts hilft!«
Einen Moment lang war Kenneth still. Dann murmelte er: »Tina lässt sich nicht ausklammern, Dana. Glaub mir dieses eine Mal. Sie ist hier, und wir müssen dieses Footballspiel hinter uns bringen, und um der Kinder willen müssen wir es normal aussehen lassen.«
Um der Kinder willen? Die Kinder wären besser dran gewesen, wenn ihr Vater nicht mit dieser verfluchten Friseurin rumgemacht und die Familie verlassen hätte!, dachte sie. Dana holte tief Luft und stieß sie wieder aus. Kenneth kannte das gut genug, um seinen Mund zu halten.
»Gut«, murmelte sie.
»Wir werden es auf das Nötigste beschränken.«
»Ja«, sagte sie, während sie in die Einfahrt der Kinnears einbog. »Tut das.«
Als Nora ihr die Haustür öffnete, sagte sie: »Die beiden schlafen noch, ist das zu fassen?«
»Wann sind sie denn ins Bett gegangen?«, fragte Dana, von dem Gespräch mit Kenneth immer noch durcheinander.
»Ach, wer weiß!« Nora wedelte mit ihren langen Fingern und nahm die erste Treppenstufe nach oben. »Diese beiden könnten den Sauerstoff aus einem Raumschiff rausreden.« Sie drehte sich zu Dana um, die immer noch unten in der Diele stand. »Kommen Sie nur«, sagte sie mit einem verschmitzten Grinsen. »Ich habe ein Geschenk für Sie.«
Dana folgte ihr nach oben in ein geräumiges Elternschlafzimmer, das in Gold- und Cremetönen gehalten war: zitronengelb und butterfarben gestreifte Tapete, elfenbeinfarbene, geschwungene Vorhänge, ein übergroßes Bett und darauf ein von goldenen und senffarbenen Fäden durchsetztes Federbett. Nora verschwand, anscheinend ganz von ihrem eigenen Dekor verschluckt, doch dann tauchte sie aus einem begehbaren Kleiderschrank wieder auf. In der Hand hielt sie eine Einkaufstasche mit gold-schwarzem Schachbrettmuster und dem roten Schriftzug PERFECTUA oben auf einer Seite. »Zugegeben, ein echtes Geschenk ist es nicht, weil ich es bei der Arbeit bekommen habe. Aber als ich es auf dem Ständer mit den Mustern hängen sah, hab ich gewusst, dass es für Sie gemacht ist.«
Vorsichtig nahm Dana den in Seidenpapier gewickelten Gegenstand heraus. Es war eine Bluse in einem hellen Champagnerton. Der Kragen war breiter als normal und endete in zwei scharfen Zacken. Die Manschetten waren lang und eng, mit drei kleinen, flachen Perlmuttknöpfen an jedem Handgelenk. Abnäher, die vom unteren Saum zu jeder Brust liefen, betonten eine schmale Taille und einen üppigen Busen. Auf dem kleinen Etikett im Kragen stand nur PERFECTUA – SEIDE .
»Das ist so … Sind Sie … Ist das Ihr Ernst?«, stammelte Dana.
»Ernst?«, sagte Nora, als wäre das Wort ihr unbekannt. »Natürlich ist es mein Ernst. Probieren Sie sie an.« Abwartend verschränkte sie die Arme vor ihrem schmalen Brustkorb.
Einen Moment lang wusste Dana nicht, was sie machen sollte. Wurde von ihr erwartet, dass sie sich vor Nora auszog? Nora rührte sich nicht, bot ihr auch nicht die Ungestörtheit ihres Badezimmers an, und so zog Dana sich ihren grauen Rollkragenpullover mit Zopfmuster über den Kopf, sodass sie oben herum nur noch ihren schlimmsten, dunkelroten BH anhatte, der zudem völlig ausgeleiert war.
»Natürlich würden Sie einen anderen BH tragen«, sagte Nora, »aber Rohseide deckt sowieso sehr gut.«
Sorgsam darauf bedacht, mit den Fingernägeln nicht in dem feinen Material hängen zu bleiben, zog Dana die Bluse an. Während sie sie vorn zuknöpfte, übernahm Nora geschickt die Knöpfe an den Handgelenken und
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