Die Zuflucht
dran als die beiden Jungs.
Bleich ließ sich nicht von mir anfassen. Als ich seine Wunden untersuchen wollte, sprang er wie ein wildes Tier einen Schritt zurück. Die Reaktion kam aus dem Innersten seiner Seele, instinktiv, wie ein Reflex.
» Nicht«, krächzte er.
» Tut mir leid«, flüsterte ich.
So hatte ich mir unser Wiedersehen nicht vorgestellt. Die Freaks haben ihn halb totgeschlagen, sagte ich mir, und ich rieche wie einer von ihnen. Gib ihm Zeit. Er muss sich erholen, und du musst dich waschen, und dann wird es wieder so sein wie früher.
Ich rang meinen Schmerz nieder und gab ihm Miles’ Decke. Sie stank, aber die Wärme, die sie spendete, war immer noch besser als nichts. Bleich nahm sie wortlos entgegen, und ich wünschte, ich könnte irgendetwas von seinem Gesicht ablesen. Aber in diesem Moment hätte er genauso gut ein Fremder sein können.
Er breitete sich die Decke über die Schultern, legte sich aber nicht hin. Stattdessen lehnte er sich gegen einen Baum. » Ich übernehme die erste Wache«, murmelte er.
» Ich die nächste. Weck mich in drei Stunden«, sagte Pirscher.
» Dann bleibt die dritte für mich. Hast du die Uhr deines Vaters noch?«
Bleich hob die Hand, und ich sah die Zeiger matt in der Dunkelheit schimmern.
» Willst du meine Messer?«
» Bitte.« Er konnte kaum sprechen vor Schmerz.
Ich gab sie ihm und reichte Bleich noch meinen Wasserschlauch, den ich am See aufgefüllt hatte. Er nahm einen tiefen Schluck und bedankte sich mit einem Nicken, dann sprang sein Blick davon, als tue es ihm weh, mich zu sehen. Also würden wir heute Nacht wohl nicht mehr miteinander sprechen. Ich vertraute darauf, dass sie mich wecken würden, wenn es Ärger gab, und legte mich hin. Nach all der Anspannung und Gefahr, die hinter uns lag, schlief ich sofort ein.
Ein stechender Schmerz auf meinem Bauch weckte mich. Instinktiv rollte ich zur Seite und riss die Augen auf. Ich sah Pirscher, wie er auf seinem Stock herangehumpelt kam, aber Bleich stürzte sich bereits auf den Freak, der versucht hatte, mir die Eingeweide aus dem Leib zu reißen. Glücklicherweise war das Monster allein, und Bleich kämpfte, wie ich es noch nie bei ihm gesehen hatte– ohne seine übliche Eleganz bewegte er sich ruckartig und abgehackt wie die Aufziehpuppen, die sie in Erlösung auf dem Marktplatz verkauften. Seelenlos wirbelten die Messer, effektiv und mit tödlicher Präzision, bis der Freak zusammenbrach.
» Wir können hier nicht bleiben«, fauchte Pirscher wütend. Wenn er sein Knie weiter belastete, würde er es endgültig ruinieren, aber uns blieb keine andere Wahl. Der tote Freak würde bald noch mehr von seinen Artgenossen anziehen.
Bleich, der noch keine Minute geschlafen hatte, schulterte ohne ein einziges Wort des Protestes Miles’ Beutel, gab mir meine Messer zurück und verschwand in der Dunkelheit.
Es ist, als wäre nur sein Körper hier und seine Seele woanders.
Erschöpft hob ich meine Sachen auf und folgte ihm. Bleich konnte nicht so gut im Dunkeln sehen wie ich, aber ich wusste ungefähr, wo der Vorposten liegen musste, und würde aufpassen, dass er uns nicht in die falsche Richtung führte.
Wir marschierten die ganze Nacht durch. Als es dämmerte, musste Pirscher sich auf meiner Schulter abstützen. Mit dem Stock allein hätte er keinen einzigen Schritt mehr weitergekonnt. Trotzdem klagte er nicht, genauso wenig wie Bleich, und ihr Schweigen trieb mich in den Wahnsinn. Ich war diese bleierne Stille nicht gewohnt. Es war, als hätte sich in dieser einen Nacht alles für immer verändert, und ich begriff weder weshalb, noch in welche Richtung das alles führen würde.
Dem Sonnenstand nach war die Mittagszeit bereits vorüber, als der Vorposten in Sicht kam. Die Wache auf dem Turm gab einen Schuss in die Luft ab, um unsere Ankunft anzukündigen. Kurz darauf kamen sie uns den Hügel herunter entgegen. Als Draufgänger Pirschers Zustand sah, befahl er seinen Leuten, ihn zu tragen. Die Tatsache, dass er nicht einmal protestierte, sprach Bände. Bleich folgte ihnen und lehnte jede Hilfe mit einem Kopfschütteln ab.
Bei Tageslicht konnte ich Bleichs Anblick kaum ertragen. Er musste unfassbar gelitten haben, und dennoch hielt er sich aufrecht, die Schultern gestrafft, den Blick irgendwo in die Ferne gerichtet. Doch bevor ich mich um ihn kümmern konnte, musste ich zuerst mit Draufgänger sprechen.
» Ihr habt es tatsächlich geschafft«, sagte der Kommandant mit einem Kopfschütteln. » Was ist da
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