Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Zuflucht

Die Zuflucht

Titel: Die Zuflucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Aguirre
Vom Netzwerk:
Verletzungen, hast du sie dir in dem Kampf zugezogen?«, fragte ich Bleich.
    Er schaute mich lange an, beugte sich vor und zurück, bevor er antwortete. Die Schwellungen in seinem Gesicht ließen ihn aussehen wie ein Ungeheuer und verzerrten seine Worte, als er sprach. So gerne hätte ich ihn berührt, aber er war schon zweimal vor mir zurückgeschreckt. Anscheinend gab es Dinge, die mit einem Kuss nicht wieder in Ordnung zu bringen waren. Außerdem stank ich immer noch wie die Bestien, die ihn entführt hatten.
    » Nein«, sagte er schließlich. » Die sind von später.«
    » Wie das?«, hakte Draufgänger nach.
    » Warst du je bei Oma Oaks zum Abendessen eingeladen?« Bleich hatte ein eigenartig entrücktes Lächeln auf den Lippen, als stünde er vor einem Trümmerhaufen, der einmal sein Leben gewesen war, und könnte jetzt über alles lachen, selbst über den Tod.
    » Sicher«, erwiderte der Kommandant verunsichert.
    » Dann weißt du, wie sie das Fleisch stundenlang weichklopft, damit es schön zart wird?«
    Draufgänger fiel keine Antwort darauf ein und mir auch nicht. Auf so etwas gab es keine Erwiderung. Er erhob sich. » Unsere Zeit hier ist vorüber. Gegen so viele können wir nicht bestehen. Das Einzige, was uns noch bleibt, ist, so viel von der Ernte zu retten wie möglich und uns in Erlösung in Sicherheit zu bringen.«
    Ich glaubte nicht, dass die hölzernen Mauern den Horden, die wir auf der Ebene gesehen hatten, lange standhalten würden, aber manchmal war es besser zu schweigen. Die Menschen hassten einen nur dafür, wenn man die Wahrheit aussprach, und ich hatte auch keine bessere Lösung, sah keine Möglichkeit, die Katastrophe zu verhindern.
    Also erhob ich mich ebenfalls. » Wie lange dauert es noch, bis die Feldfrüchte so weit sind?«
    » Ich habe nicht die geringste Ahnung, und es spielt auch keine Rolle. Wir nehmen mit, so viel wir können, und dann nichts wie weg hier. Kümmere dich um deinen Jungen, in Ordnung?« Draufgänger murmelte noch irgendetwas davon, dass er einen Boten nach Erlösung schicken würde, dann verschwand er.
    » Gehen wir zu deinem Zelt«, sagte ich, so sanft ich konnte. » Damit wir deine Wunden reinigen können. Ich…«
    » Nein.«
    Er wies mich einfach so zurück. Ich verstand die Welt nicht mehr. Ich hatte ihn schon einmal versorgt, als er sich von Oma Oaks nicht berühren lassen wollte.
    » Liegt es daran, dass du nicht zurück in dein Zelt willst?« Zu spät fielen mir die Blutflecken auf den Decken wieder ein. Ob jemand sie weggemacht hatte? » Dann gehen wir eben in meins. Aber jemand muss sich um deine Verletzungen kümmern, so oder so.«
    Er legte die Stirn in seine Hände. Sie war die einzige Stelle auf seinem Gesicht, an der er keine Schmerzen hatte. » Ich werde mich selbst um sie kümmern. Lass mich einfach allein. Bitte.«
    » Bleich…«
    » Lass mich allein«, wiederholte er ruhig, und ich wusste, er meinte es ernst.
    Um die Dinge nicht noch schlimmer zu machen, tat ich, worum er mich gebeten hatte. Draußen standen die Wachen auf ihrem Posten oder spielten Karten. Ich sah keinen Hinweis, dass sie wussten, in welcher Gefahr sie schwebten. Also hatte unser Kommandant beschlossen, ihnen nichts von der jüngsten Entwicklung zu erzählen. Eine kluge, wenn auch rücksichtslose Entscheidung, aber es war die einzig mögliche. Falls diese Männer Wind von unserer verzweifelten Lage bekamen, würden die meisten von ihnen die Flucht ergreifen, ohne sich einen Dreck darum zu scheren, was aus der Ernte wurde. Am nächsten Tag könnten die Pflanzer dann alleine zusehen, wie sie es lebend zu den Feldern und wieder zurück schafften.
    Mir war nicht danach, mit jemandem zu sprechen, und ich war zu müde, um irgendwelche Arbeiten zu erledigen, also holte ich mir einen Eimer Wasser und verkroch mich in meinem Zelt. Bleich wollte meine Hilfe nicht, und ich musste mich dringend waschen. Der Schnitt auf meinem Bauch war angeschwollen und brannte. Ich machte ihn mit Seife sauber, trocknete ihn ab und rieb Salbe hinein. Mit meinem Haar konnte ich nichts anderes tun, als es in den Eimer zu tauchen und zu einem Zopf zusammenzubinden, damit mir die verdreckten Strähnen wenigstens nicht mehr ins Gesicht hingen.
    Ich hatte kein Verbandszeug mehr für meine Bauchwunde und zog meine letzte Wechseluniform an, damit sie zumindest einigermaßen sauber blieb. Der Schnitt war zwar nicht besonders tief, trotzdem würde eine Narbe zurückbleiben, ein weiterer Beweis meiner Tapferkeit. So

Weitere Kostenlose Bücher