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Die Zuflucht

Die Zuflucht

Titel: Die Zuflucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Aguirre
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das Mädchen vergoss endlose Tränen, beweinte den Mann, der als Held gestorben war. Ich dachte daran, wie er sich damals auf dem Wachturm das Knie gerieben hatte, und schluckte meine Tränen hinunter. Es gab Momente, da durfte ich nur Jägerin sein, wenn ich überleben wollte. Eines Tages würde das Mädchen in mir ihn beweinen, aber nicht jetzt.
    » Lass mich los«, sagte ich.
    Er nahm mich beim Wort, und wir rannten gemeinsam auf das Tor zu, das gerade noch weit genug offen stand, um die letzten Überlebenden durchzulassen. Von den zwanzig, die den Tross verteidigt hatten, kehrten nur vier zurück: der Wächter, der mich gepackt hatte, zwei andere… und ich.
    Der Anblick der wartenden Familien war auf schreckliche Weise vertraut. Viele brachen schluchzend zusammen, als sie begriffen, wie groß das Massaker gewesen war. Oma Oaks suchte bestimmt schon verzweifelt nach mir und Edmund auch, aber ich konnte mich nicht bewegen. Überall standen Wagen, Maultiere, weinende Frauen und Kinder. Ich rieb mir mit zitternden Händen das Gesicht und kauerte mich auf den Boden. Nicht wegen meiner schmerzenden Wunden, die waren mir egal. Sondern um meine Seele zu schützen.
    Draufgänger .
    Der Name schmerzte in meinem Herzen wie ein Dolch. Ich hasste ihn dafür, dass er als Held gestorben war.
    Und jenseits des Tors fraßen die Freaks unsere Toten.
    Diesmal zogen sie sich nicht wieder zurück.

SACKGASSE
    Tegan entdeckte mich als Erste. Trotz meiner Verzweiflung war ich unendlich erleichtert. Ich war so glücklich, dass sie es geschafft hatte. Immerhin war ich es gewesen, die Tegan auf die Idee gebracht hatte, sich den Pflanzern anzuschließen. Ich hätte es nicht ertragen, wenn ihr etwas zugestoßen wäre. Mit besorgtem Blick kniete sie sich neben mich, ohne Rücksicht auf ihr Kleid zu nehmen.
    » Lass uns zu Doc gehen«, sagte sie.
    Ich zuckte die Achseln. Wozu aufstehen?, dachte ich. Ich war am Ende meiner Kräfte.
    Tegan betrachtete mich genauer. » Du blutest.«
    » Tatsächlich?« Wahrscheinlich aus mehr als einer Wunde. Aber Tegan ließ sich nicht beirren und zog mich auf die Beine.
    » Zwei!« Wir waren erst ein paar Schritte gegangen, als Oma Oaks zu uns stieß.
    Tegan warf ihr einen ernsten Blick zu. » Ich bringe sie zu meinem Vater.«
    Ich fragte mich, ob Tegan bewusst war, wie sie Doc Tuttle gerade genannt hatte, und was er selbst wohl dazu gesagt hätte. Nun, er hatte alles versucht, um sie zu retten, als wir hier ankamen. Vielleicht war er glücklich, in ihr eine Tochter gefunden zu haben, und seine Frau wahrscheinlich auch. Mittlerweile hatte ich gelernt, dass Familienbande nicht immer Blutsbande sein mussten.
    Oma Oaks streckte die Hände nach mir aus, als wollte sie mich umarmen, und hielt plötzlich inne. » Tegan hat recht. Du brauchst einen Arzt. Edmund!«
    Mein Pflegevater kam von hinten heran. Ich musste das Gleichgewicht verloren haben, denn plötzlich fand ich mich in seinen Armen wieder– er trug mich. So viel Kraft hatte ich ihm gar nicht zugetraut, aber irgendwie schaffte er es, mich den ganzen Weg zu Doc Tuttle zu tragen. Mir wurde schwindlig, und ich sah immer schlechter.
    » Noch ein Patient?«, fragte Doc, als wir ankamen. » Diese verdammten Stummies geben mir mehr zu tun, als mir lieb sein kann. Tegan, bring mir bitte eine Schüssel mit Seifenwasser und mein Besteck.« Sie sagte irgendetwas, das ich nicht verstand, und er antwortete: » Ja, du kannst mir helfen.«
    Edmund legte mich auf den Untersuchungstisch, und ich verlor das Bewusstsein. Als ich wieder erwachte, lag ich in meinem Bett bei den Oaks. Selbst das Aufrichten bereitete mir große Schmerzen. Ich hob mein Nachthemd ein Stück an und blickte benommen auf vier neue, frisch vernähte Wunden. Die Freaks hatten mich schlimmer erwischt, als ich gedacht hatte. Noch während ich überlegte, ob ich aufstehen sollte, kam Oma Oaks mit einem Tablett herein und stellte es mir auf den Schoß. Es roch köstlich.
    » Du hast mir einen ganz schönen Schrecken eingejagt.«
    » Tut mir leid«, murmelte ich.
    » Doc Tuttle sagt, du kommst wieder in Ordnung.«
    Wieder in Ordnung. Schön wär’s . Er konnte nur die Wunden heilen, die von außen zu sehen waren. Ich stocherte in dem Essen herum und nahm ein paar Bissen. Oma Oaks zuliebe.
    Sie setzte sich auf den Stuhl neben meinem Bett.
    » Wie sieht es vor den Toren aus?«, fragte ich.
    Oma Oaks runzelte die Stirn. » Mach dir darüber keine Sorgen. Du musst dich jetzt ausruhen und gesund werden.«
    »

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