Die Zuflucht
Draufgänger… während Bleich vollkommen allein war. Es schien alles so ungerecht. Er war es, der jemanden brauchte, der ihn liebte, denn die Menschen, die es einst getan hatten, hatte er verloren. Aber vielleicht konnte ich seinen Verlust lindern. Vielleicht war mein Herz stark genug, seine Wunden zu heilen. Daran hielt ich mich fest, genauso wie ich unerschütterlich daran geglaubt hatte, dass Bleich noch am Leben war.
» Hast du mich deshalb zu Oma Oaks geschickt? Weil du wusstest, dass sie mich aufnehmen würde wie ihre eigene Tochter?«
Er neigte den Kopf. » Ja. Das habe ich zumindest gehofft. Mir schien, du könntest etwas Nestwärme gebrauchen.«
In diesem Moment wusste ich, dass auch er mich auf seine Weise liebte. Nur deshalb hatte er meine nächtlichen Besuche auf dem Wachturm ertragen. Wärme stieg in mir auf und überstrahlte für einen Moment allen Schmerz und alle Ungewissheit. Es war, als würde allein Draufgängers Gegenwart die Anspannung von mir nehmen– was wahrscheinlich auch der Grund war, weshalb er mich zu sich gebeten hatte. Ich spürte, wie meine Muskeln sich entspannten, und das nicht nur wegen der Hitze des Feuers, das zu meinen Füßen brannte. Ich atmete ganz langsam aus, schloss die Augen und versuchte, einmal nicht an Bleich zu denken. Auch nicht an Pirscher, der versucht hatte, mich zum Abschied zu küssen. Aber selbst das schien Bleich egal gewesen zu sein. Im Moment war ihm alles egal, und vielleicht war das nur normal nach allem, was er durchgemacht hatte.
Hab Geduld .
Schließlich entschuldigte ich mich und ging zu meinem Zelt. Es dauerte lange, bis ich einschlief, und selbst dann wachte ich beim kleinsten Geräusch auf, rechnete jeden Moment damit, dass ein Freak mich aus meiner Bettrolle zerren und wegschleppen würde. So, wie sie es mit Bleich gemacht hatten. Wenn ihre Absicht gewesen war, uns Angst einzuflößen, war es ihnen gelungen. Ich fühlte mich nicht mehr sicher, weder hier noch sonst wo. Die ganze Welt lag in scharfkantigen Trümmern, die mich bis auf den Knochen schneiden würden, wenn ich nicht aufpasste.
Am Morgen spülte ich meinen Zwieback mit einem Schluck Wasser hinunter und hielt auf den Feldern Ausschau nach Tegan. Sie schimmerte wie Bronze, während meine Haut von der Arbeit unter der glühenden Sonne immer röter wurde, aber dagegen konnte ich im Moment nichts tun. Oma Oaks hatte bestimmt eine Medizin dafür. Überhaupt sehnte ich mich mit einer Verzweiflung nach meiner Pflegemutter, die jedes vernünftige Maß überstieg. Ich hatte das Gefühl, bei ihr würde alles irgendwie besser werden, und wenn nicht, könnte sie mir wenigstens erklären, warum nichts in meinem Leben mehr einen Sinn ergab.
Ich habe dich gerettet, Bleich. Wie kannst du mich so hassen?
Vielleicht gerade deshalb: weil er jetzt damit leben muss.
Als wir mittags eine kurze Essenspause machten, kam Tegan zu mir. » Ich habe Pirscher und Bleich gesehen. Sie sehen furchtbar aus… und du auch. Was ist passiert?«
Ich wusste, es wäre falsch, die Wahrheit noch länger vor ihr zu verheimlichen. Ich zog sie ein Stück von den anderen weg und erklärte ihr, was in den letzten Tagen vorgefallen war, erzählte ihr von Bleichs Entführung, der Rettungsaktion und der Freak-Kolonie. Sie wurde immer blasser, während ich redete, und starrte mich mit großen Augen an.
» Das ist…« Sie hatte keine Worte dafür. » Zumindest erklärt es eine Menge. Letzte Nacht kam Pirscher zu uns, in Doc Tuttles Haus. Er hat sich entschuldigt. Er sagte, er weiß, dass es nichts ändert, und er kann verstehen, wenn ich ihn bis ans Ende meines Lebens hasse, aber… es tut ihm leid, was damals passiert ist.«
» Das ist schön«, murmelte ich. » Wahrscheinlich ändert es tatsächlich nichts, aber…«
» Doch, das tut es. Hass ist eine furchtbare Last… und als er sich entschuldigte, spürte ich, wie sie von mir abfiel.« Sie schwieg für einen Moment und sagte dann: » Ich habe über deine Worte nachgedacht, und du hattest recht. Er hat mir grässliche Dinge angetan, aber jetzt verstehe ich, warum er damals vielleicht nicht anders konnte.«
» Ich glaube, Pirscher musste selbst viel Grässliches ertragen.« Manchmal lernten Menschen aus Schmerz lediglich, ihn an andere weiterzugeben.
Tegan nickte. » Das würde mich nicht überraschen. Was ist mit Bleich? Was wirst du tun?«
» Ihm Zeit geben, mich zu vermissen, wahrscheinlich. Es tut weh, wenn er mich so auf Distanz hält.«
Bevor sie etwas
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