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Die Zuflucht

Die Zuflucht

Titel: Die Zuflucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Aguirre
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jetzt zu Bett gehen. Knutscht nicht zu lange, damit ihr noch genügend Schlaf bekommt.«
    Es war das zweite Mal, dass ich dieses Wort hörte, und ich vertraute Oma Oaks, dass sie sich nicht über meine Unwissenheit lustig machen würde. » Was bedeutet knutschen?«
    Ihre Augen funkelten, als würden süße Erinnerungen in ihr aufsteigen. » Es bedeutet, dass deine Säfte fließen und du erblühst wie eine Blume. Genieße die paar Stunden mit deinem jungen Mann.«
    Aha . Immerhin konnte ich aus ihrer Erklärung ableiten, dass es etwas mit Küssen zu tun haben musste. Ich fand das Wort gar nicht schlecht. Es erinnerte mich an kuscheln, aber da war noch mehr… Wenn Bleich mich berührte, fühlte ich mich, als würden lauter kleine Lichter in mir tanzen. Beinahe wäre ich rot geworden, als ich mir vorstellte, dass Oma Oaks dieses Gefühl ebenfalls kannte. Immerhin hatte sie Edmunds Kinder geboren. Es war ein höchst seltsamer Gedanke, mir die beiden miteinander vorzustellen, so jung und begierig.
    » Mehr sage ich nicht dazu«, fuhr sie fort. » Du bist ein kluges Mädchen und hast es weit gebracht. Du wirst wissen, was gut für deine Zukunft ist.«
    Wahrscheinlich meinte sie damit, ich war zu schlau, um mich unautorisiert mit Bleich fortzupflanzen. Bleich zu küssen war toll, ohne Frage, aber alles andere musste warten, bis meine Reflexe erlahmten. Ich konnte es nicht riskieren, dass ein Balg mir die besten Jägerinnenjahre nahm. Wenn ich alt und langsam wurde, so mit vierundzwanzig etwa, würde ich mich vielleicht zur Ruhe setzen und Nachkommen mit Bleich haben. Aber das lag noch so weit in der Zukunft, dass ich es mir kaum vorstellen konnte. Außerdem war ich angesichts der momentanen Lage alles andere als sicher, ob wir beide so lange leben würden.
    » Danke für alles«, sagte ich schließlich.
    Oma Oaks sprang auf mich zu und schloss mich so fest in die Arme, wie niemand zuvor es je getan hatte. Sie roch süß wie frisches Brot, und ich spürte Tränen in den Augen. Dann machte sie sich unvermittelt los und erklärte, sie werde wahrscheinlich noch schlafen, wenn wir am Morgen aufbrachen, aber sie würde mich jeden Tag in ihre Gebete einschließen. In Erlösung war das beinahe die größte Ehre, die man jemandem zukommen lassen konnte, denn es bedeutete, dass man mit dem Wesen sprach, das im Himmel lebte und über die Welt herrschte. Ich konnte mir zwar nicht vorstellen, dass dieser Gott tatsächlich den Menschen zuhörte, aber meiner Pflegemutter schienen diese Gebete sehr wichtig zu sein, und das genügte.
    Ich sammelte mich einen Moment lang, dann ging ich hinüber ins Wohnzimmer, wo ich Edmund vorfand, der sich gerade die Schuhe anzog.
    » Wohin gehst du?«, fragte ich.
    » Ich habe dir für morgen neue Stiefel versprochen«, antwortete er.
    » Aber deshalb musst du doch nicht…«
    » Sei nicht albern.« Damit ging er hinaus und schloss leise die Tür hinter sich.
    Bleich hatte vom Sofa aus zugehört. Wenigstens schien die Salbe seine Wunden etwas geschmeidiger zu machen, denn er saß nicht mehr aufrecht wie ein Stock, sondern hatte die Ellbogen auf die Knie gestützt und starrte mich an, als wäre ich die Antwort auf alle Rätsel der Welt. Mein Puls beschleunigte sich.
    » Er mag dich sehr gern«, sagte Bleich.
    » In den ersten Wochen dachte ich, ich würde ihnen nur zur Last fallen, aber offensichtlich habe ich mich getäuscht.«
    » Ich bin froh, dass du bei Menschen untergekommen bist, die dich aufrichtig lieben.«
    Nachdem ich keine Gelegenheit ausließ, den beiden Kummer zu bereiten, wollte ich lieber nicht weiter über das Thema sprechen.
    » Bist du müde?«, fragte ich stattdessen.
    Er schüttelte den Kopf. » Es ist für eine ganze Weile das letzte Mal, dass wir ein paar Stunden nur für uns haben.«
    » Bis zum Ende des Sommers vielleicht.«
    Stille Momente wie dieser dürften während unserer Zeit auf dem Vorposten eher selten sein. An Knutschen war wahrscheinlich nicht zu denken, und ich fragte mich, ob ich vielleicht tatsächlich nicht ganz normal war. Ich könnte hierbleiben, in der Stadt und in Sicherheit, und mit Bleich noch viele Momente wie diesen erleben. Wir könnten im Mondschein spazieren gehen, auf der Schaukel Küsse und Geheimnisse austauschen, hätten Zeit für unendlich viel Zärtlichkeit. All das gab ich auf für Gefahr und Kampf ums nackte Überleben.
    Aber die Jägerin in mir konnte einfach nicht anders.
    » Dann lass uns das Beste aus dieser Nacht machen.« Bleich stand auf

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