Die Zuflucht
und streckte mir die Hand hin.
Ich musterte ihn im flackernden Kerzenschein, sah das Licht auf seinem rabenschwarzen Haar schimmern. Die zerzausten Locken umrahmten sein schmales Gesicht. Ich kannte es besser als mein eigenes. Ein verhaltenes Lächeln umspielte seine Mundwinkel und ließ ihn aussehen wie einen schalkhaften Jungen. Aber selbst in dieser verspielten Miene war immer noch die Wildheit zu erkennen, das Raubtier, das sich nur von mir berühren ließ. Ich nahm einen bebenden Atemzug und griff nach seinen Händen.
Ganz langsam schloss er mich in die Arme. Ob wegen der Narben auf seinem Rücken oder um mich nicht zu erschrecken, konnte ich nicht sagen.
Ich blickte in seine dunklen Augen, dieses unendliche Schwarz, umrahmt von genauso dunklen Wimpern. Zum ersten Mal fielen mir die violetten Ringe um seine Iris auf. Noch nie hatte mich jemand so angeschaut, so zärtlich und voll rückhaltloser Hingabe. Hätte er mich nicht geküsst, ich hätte die ganze Nacht lang so verharren können.
Sein Mund bewegte sich über den meinen, er knabberte an meinen Lippen, befühlte sie mit der Zunge. Ich spürte Funken in mir auffliegen, wie ein Feuer entzündeten sie mich. Er umfasste meine Hüfte und zog mich an sich. Ich war wie in Trance; trotzdem achtete ich darauf, mit den Händen nicht seinen Rücken zu berühren. Stattdessen legte ich meine Finger auf seinen Nacken, streichelte und massierte ihn.
Bleich presste mich so fest an sich, dass unsere Körper beinahe miteinander verschmolzen. Ich spürte seinen Herzschlag, als antwortete er auf meinen, als stimmten sie gemeinsam einen Trommelwirbel an. Mit hungrigen Lippen saugte er mich in sich auf, ich keuchte und seufzte, jede Faser meines Körpers reagierte auf ihn. Dann ließ er von meinem Mund ab und küsste mein Ohr, meinen Hals, und ich schnappte nach Luft.
» Ich glaube, wir hören besser auf«, keuchte ich.
Bevor ich noch vergesse, dass Jägerinnen sich nicht fortpflanzen.
Noch ein, zwei Minuten, und es wäre mir egal, wenn ein Balg mein Leben für immer veränderte.
Seine Hände zitterten, als er mich losließ, und ich war erleichtert, weil er seine zarteren Instinkte offensichtlich genauso wenig im Griff hatte wie ich. Ich lächelte, um ihm zu zeigen, dass es mir nichts ausmachte.
» Geh noch nicht ins Bett«, flüsterte er.
» Hatte ich auch nicht vor.«
Bevor wir nach Erlösung kamen, hatten wir mehr Nächte zusammen verbracht als getrennt voneinander. Anfangs konnte ich alleine kaum einschlafen, so sehr hatte ich mich an Bleich, Tegan und Pirscher gewöhnt. Diese Stille und Abgeschiedenheit waren mir fremd. Ich fühlte mich einsam. Und selbst als ich mich auf die neue Situation eingestellt hatte, wünschte ich mir oft, ich bräuchte nur den Arm auszustrecken, um Bleich zu berühren, könnte ihn beobachten, während er schlief.
» Was dann?«, fragte er.
In seinem Gesicht sah ich, wie sehr er sich beherrschen musste. Auch ich hätte ihn am liebsten verschlungen, aber das wäre nicht klug gewesen. Wenn wir wieder anfingen, uns zu küssen, würde es weiter gehen, als gut für uns war. Mein Verstand hatte schon die Sachen gepackt, bereit, sich davonzumachen und erst wiederzukommen, wenn wir am nächsten Morgen aufwachten. Glücklicherweise wusste ich was Besseres.
» Etwas, das ich schon immer mal tun wollte.«
Seine nachtschwarzen Augen funkelten. » Was?«
Ich setzte mich aufs Sofa. » Komm her und leg deinen Kopf auf meinen Schoß.«
Bleich brauchte ein paar Versuche, bis er eine bequeme Position gefunden hatte, aber schließlich lag er da, das Gesicht zu mir gedreht.
Ich seufzte verzückt und vergrub die Finger in seinen seidenweichen Haaren. Ich hatte sie schon öfter berührt, aber noch nie so genussvoll und in so entspannter Atmosphäre. Mit unendlich langsamen, zärtlichen Bewegungen strich ich über seine Stirn, die Schläfen und Wangen und wieder zurück. Ich tastete über seine Augenbrauen und den Nasenrücken. Früher hätte ich so innigen Körperkontakt niemals zugelassen. Ich hatte geglaubt, Zärtlichkeit wäre allein den Züchtern vorbehalten, aber ich spürte, Bleich brauchte sie genauso wie ich.
» Du wolltest mich schon immer streicheln?«, fragte er wie benommen.
» Fühlt sich das gut an?«
» Es ist… fantastisch.« Als er einschlief, lächelte er immer noch.
Ich hielt ihn fest und dachte, dass es nichts auf der Welt gab, was ich nicht für diesen Jungen tun würde.
UNTER DRUCK
Als ich aufwachte, war der Himmel noch
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