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Die Zuflucht

Die Zuflucht

Titel: Die Zuflucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Aguirre
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dunkel. Ich spürte ein Ziehen im Nacken, weil ich Bleich die ganze Nacht festgehalten hatte. Er schlief immer noch, tief in Träume versunken. In diesen stillen, abgeschiedenen Momenten gehörte er ganz mir. Keine Ablehnung, keine Zurückhaltung. Ich strich ihm das Haar aus dem Gesicht, fuhr mit den Fingern über die wunderbar geschwungenen Augenbrauen. Seine Lider flatterten, und am liebsten hätte ich sie geküsst, aber ich wollte ihn nicht aufwecken, denn ich spürte, es war schon lange her, dass er zum letzten Mal so gut geschlafen hatte.
    Am anderen Ende des Raums sah ich ein Paar nagelneue Stiefel stehen. Edmund hatte sie also tatsächlich noch in der Nacht fertig gemacht, war nach Hause gekommen, hatte uns aneinandergekuschelt auf dem Sofa liegen sehen und nichts gesagt. Ich stellte mir vor, wie er uns wohlwollend betrachtete, sein Geschenk für mich abstellte und lautlos nach oben verschwand. Ich spürte Tränen in den Augen. Mucksmäuschenstill schob ich ein Kissen unter Bleichs Kopf, glitt vom Sofa und ging hinüber zu meinen neuen Schuhen.
    Ich hob sie auf und drückte sie an meine Brust, dann ging ich in die Küche. Es fiel mir schwer, sie wieder abzustellen, aber ich musste Frühstück machen. Es gab immer frisches Brot und Butter, dazu einen roten klebrigen Brei. » Erdbeermarmelade«, sagte Oma Oaks dazu. Ich machte den Ofen nicht an, denn das hätte meine Pflegeeltern geweckt, und Edmund konnte noch nicht allzu viel Schlaf bekommen haben. Die Brote waren reichhaltiger als der Proviant, den wir auf unserer Flucht durch die Ruinen gehabt hatten. Gut. Ich schmierte Butter und Marmelade darauf und dachte zurück an die Tage, als wir nur verkohltes Kaninchenfleisch zu essen gehabt hatten.
    Als ich fertig war, trug ich zwei Teller hinüber ins Wohnzimmer und legte Bleich eine Hand auf die Schulter, um ihn zu wecken. Zu meiner Freude griff er nicht nach seinen Waffen, sondern blinzelte mich nur mit einem verschlafenen Lächeln an. Als er mich erkannte, begannen seine Augen zu leuchten.
    » Daran könnte ich mich gewöhnen«, flüsterte er.
    Ich schämte mich ein bisschen für diese unglaublich zarten Gefühle, die er in mir auslöste. » Lieber nicht.«
    Er setzte sich auf, und sein Lächeln wurde zu einem Grinsen, als er die Brote sah. Wir aßen schnell und ohne Unterhaltung, denn wir mussten uns noch waschen und die Ausrüstung zusammenpacken. Unsere erste gemeinsame Patrouille Unten fiel mir wieder ein– diesmal durften wir auf keinen Fall zu spät kommen. Ich schluckte den Schmerz hinunter, der in mir aufstieg, als ich an all die Freunde dachte, die ich verloren hatte, trug die Teller zurück in die Küche und pumpte Wasser in das Becken. Bleich wusch sich als Erster, während ich im Wohnzimmer wartete und mir nicht vorstellte, wie er sich mit einem nassen Stück Stoff am ganzen Körper abrieb.
    Dann war ich dran. Als ich fertig war, streifte ich Hemd und Hose über und zog die neuen Stiefel an. Großartig .
    Wir sammelten unsere Sachen zusammen und gingen zu den Baracken.
    Um diese Tageszeit begann der Himmel gerade erst am unteren Rand hell zu werden. Rosenrot und kupferfarben schimmerte ein schmaler Streifen und breitete sich immer weiter nach oben aus. Ein Schauspiel, das mir jedes Mal aufs Neue den Atem verschlug. Bald wäre die Sonne so hell, dass sie mir in den Augen wehtat. Diese ersten Minuten eines neuen Tages waren das Schönste, was ich Oben bisher gesehen hatte.
    » Nervös?«, fragte Bleich.
    » Ein bisschen«, gestand ich. » Das wird unser härtester Einsatz bis jetzt… Und all die Annehmlichkeiten in Erlösung haben uns weich gemacht.«
    Ich hatte nicht vergessen, wie hart der Überlebenskampf in den Tunneln gewesen war oder das ständige Davonrennen vor den Banden in den Ruinen. Auch die Entbehrungen auf dem langen Weg hierher waren mir noch gut in Erinnerung. Irgendwie war ich stolz, weil wir es geschafft hatten– allein mit unseren Waffen und unserem Zusammenhalt.
    Bleich nickte. » Wir werden zwar kein festes Dach mehr über dem Kopf haben, aber das Wetter ist gut. Es wird jeden Tag wärmer.«
    » Ich mache mir eher Sorgen, ob wir einen geeigneten Standort für den Vorposten finden.«
    Bleich überlegte kurz und sagte: » Draufgänger scheint zu wissen, was er tut.«
    » Das ist der einzige Lichtblick dabei.« Ich bezweifelte, ob wir eine Aussicht auf Erfolg gehabt hätten, wenn sie jemand anderem das Kommando übertragen hätten.
    Die Stadt lag noch ganz still. Wir sahen nur ein

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