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Die Zuflucht

Die Zuflucht

Titel: Die Zuflucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Aguirre
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lagen, aber wir hatten nie eine Schneise schlagen müssen oder etwas dergleichen, deshalb hatte ich von diesen Dingen nicht die geringste Ahnung.
    Zwischen den Bäumen war es schattig und kühl. Die grelle Morgensonne malte kränklich blaue Schatten auf unsere Haut. Das aufgebrachte Gezwitscher der Vögel beruhigte mich, während ich Hobbs zu einem geeigneten Baum folgte. Er war gerade gewachsen und noch dünn genug, dass wir ihn tragen konnten.
    » Umfass ihn mit den Händen«, wies er mich an, » und halt gut fest.«
    Ich gehorchte. Darin war ich besonders gut. Ein ganzes Leben lang hatte ich nichts anderes getan, als die Anweisungen der Ältesten zu befolgen. Schade nur, dass sie selbst kaum gewusst hatten, was sie taten.
    Es war eine langweilige Aufgabe, also schickte ich meine Gedanken auf Wanderschaft und dachte zurück an all die Dinge, die ich stets ausgeblendet hatte. Ich hätte wissen müssen, dass die vielen Verbannten sinnlose Menschenopfer gewesen waren. Dargebracht, um uns alle einzuschüchtern, und nicht weil sie tatsächlich etwas verbrochen hatten. Bis jetzt hatte ich in Erlösung noch nichts Derartiges erlebt, aber manche der Bewohner schienen mir auch so fanatisch und gefährlich genug.
    Hobbs sägte schon eine ganze Weile, und ich fragte mich, wozu ich den Stamm überhaupt festhielt, denn er bewegte sich kein bisschen. Prompt begann er genau in diesem Moment seitlich wegzukippen, und ich stemmte mich mit meinem ganzen Gewicht dagegen.
    Hobbs nickte mir anerkennend zu– anscheinend machte ich es richtig. Das Geschrei der Vögel und das Ratschen von Metall auf Holz waren die einzigen Geräusche, und ich war einigermaßen sicher, dass keine Freaks in der Nähe waren.
    Vielleicht haben sie sich tiefer im Wald versteckt. Wenn überhaupt noch welche hier sind.
    Bis jetzt hatten wir keinen einzigen Hinweis auf sie entdeckt, als hätten sie sich tatsächlich auf die Suche nach leichterer Beute gemacht. Wie Draufgänger in jener Nacht, als er uns fand, erklärt hatte, herrschte während des Frühlings und des Sommers reger Handelsverkehr zwischen den Städten Oben. Im Herbst und Winter wagten sie sich nur im Notfall auf die Straßen, was es mir als ein umso größeres Wunder erscheinen ließ, dass wir ihm begegnet waren. Er war losgefahren, um aus Appleton Medizin gegen eine drohende Epidemie zu holen und noch ein paar andere Dinge. Genau wie für diesen Einsatz hatte er sich freiwillig gemeldet. Draufgänger war mit Abstand der mutigste und aufrichtigste Ältere, den ich je kennengelernt hatte. Aber wie er selbst sagte: Es gab niemanden, der zu Hause auf ihn wartete, also hielt er es für besser, wenn er das Risiko auf sich nahm, statt eines anderen, der Frau und Kind hatte.
    Schließlich waren alle Bäume gefällt, und wir befestigten sie an den Trageseilen. Die Schlepperei war beschwerlicher, als ich gedacht hatte, aber wir erreichten unser Lager ohne Zwischenfälle. Die anderen hatten inzwischen die Kuppe der Anhöhe eingeebnet und die Werkzeuge bereitgelegt, die wir zum Bau des Turms brauchen würden.
    Wir mussten mehrmals hin und her gehen, und es war bereits Nachmittag, als wir endlich anfangen konnten. Draufgänger überwachte die Arbeiten und erklärte allen, die zu wenig Erfahrung hatten, was sie tun mussten. Als es dunkel wurde, war der grob zusammengezimmerte Turm fertig, und die erste Wachschicht konnte oben auf der Plattform Posten beziehen.
    » Morgen«, kündigte unser Kommandant an, » sammeln wir Steine. Innerhalb von zwei Wochen müssen wir eine Schutzmauer um diesen Vorposten errichtet haben.«
    Nach dem Abendessen ging ich zu Draufgänger. Er saß bei einer Tasse Kräutertee, die einen angenehm süßlichen Duft in der abendlichen Luft verbreitete. Tagsüber war es warm, aber nachts fiel die Temperatur, und ich zog meine Decke fest um die Schultern, als ich mich neben ihn setzte. Vielleicht hätte ich warten sollen, bis er mich von selbst bat, Platz zu nehmen, aber dafür war es jetzt zu spät. Außerdem schien Draufgänger mir nicht zu der Art Menschen zu gehören, die sich viel aus Förmlichkeiten machte. Ich hatte auch so den größten Respekt vor ihm. Hätte er mir befohlen, mir einen Fuß abzuschneiden und als Freak-Futter hinaus in den Wald zu werfen, ich hätte es im Vertrauen darauf getan, dass uns dadurch schlimmeres Unheil erspart blieb.
    » Hast du was auf dem Herzen?«, fragte er, ohne mich anzusehen.
    » Es ist alles so ruhig…«, sagte ich, statt mit dem herauszurücken,

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