Die Zuflucht der Drachen - Roman
über das Quartier des Verwalters hinauswagen, wird es eine Expedition in die absolute Wildnis sein. Und wir werden nicht nur mit Drachen fertigwerden müssen. Diese Sanktuarien wurden als Heimstätte für Kreaturen eingerichtet, die zu groß und zu mächtig sind, um mit den Wesen in den üblichen Reservaten zusammenzuleben. Über Wyrmroost ist nur wenig bekannt. Niemand kann sagen, was uns dort widerfahren wird. Gavin, hast du irgendwelche Ratschläge?«
Gavin zuckte die Achseln. »Wir gehen gut bewaffnet dort hinein. Unsere Waffen könnten uns gegen einige der Kreaturen, denen wir dort w-womöglich begegnen, von Nutzen sein. Aber vergesst eure Waffen, wenn ihr von einem Drachen bedroht werdet. Das erste Ziel muss sein zu reden. Das zweite, zu fliehen oder euch zu verstecken. Menschen haben gegen Drachen keine Chance. Früher einmal gab es Drachentöter. Diese Zeit ist lange v-vorüber. Mein Dad hat gerne den folgenden Vergleich angestellt: Drachen sehen uns, wie wir Mäuse sehen. Wir schmecken nicht besonders gut, und wir sind auch keine echte Bedrohung, aber wenn wir ihnen vor die Füße kommen, werden sie uns töten, nur um ihr Revier sauber zu halten. Aber wenn wir mit ihnen reden, dann sind wir für sie so etwas wie sprechende Mäuse. Wir werden interessant, zu einem niedlichen Schoßtier oder so. Wenn man es mit einem Drachen zu tun hat, ist das oberste Ziel, ihn zu amüsieren und zu beeindrucken. Spielt die Rolle einer pf-pf-pfiffigen Maus, die kein Mensch töten würde.«
»Kluger Rat«, meinte Trask anerkennend. »Noch irgendwelche Fragen? Nein? Mir soll’s recht sein. Wir sind die wesentlichen Punkte durchgegangen. Ich bin stolz darauf, mit jedem Einzelnen von euch zusammenzuarbeiten. Lasst uns zusehen, dass wir ein wenig Schlaf bekommen. Morgen wird ein ereignisreicher Tag.«
Mara blies die Kerze aus.
Holzsplitter stachen Seth in den Arm. Die Dose mit Walnussbutter in seiner Tasche drückte schmerzhaft gegen seinen Oberschenkel. Er wechselte die Position, dafür musste er jetzt unbequem den Hals verbiegen und das Kinn fast bis auf die Brust pressen. Die abgestandene Luft in der Kiste roch nach Staub und fauligem Holz. Er wünschte, er könnte einfach ein Loch hineinbohren. Klebriger Schweiß rann ihm über die Haut. Der Teppich über ihm machte das stickige Versteck nur noch heißer.
Das Traurigste war, dass es fast mit Sicherheit unnötig war, in dieser engen Kiste zu bleiben. Zu gering die Wahrscheinlichkeit, dass vor dem nächsten Morgen irgendjemand die Leiter herunterkommen würde. Alles war still. Vermutlich konnte er der beengenden Folter ein Ende machen, aber er wollte um keinen Preis seine Chance aufs Spiel setzen, mit den anderen nach Wyrmroost zu reisen. Er hätte sich auch in einer geräumigeren Kiste verstecken können, doch diese stand hinter mehreren anderen direkt an der Wand. Hier würde ihn niemand finden, solange der Deckel zu war und über ihm der Teppich lag.
Tanu hatte ihn übersehen, als er kurz vor dem Aufbruch das Innere des Rucksacks durchsucht hatte. Der große Samoaner hatte den Raum gründlich mit einer hellen Taschenlampe abgeleuchtet. Er hatte sogar den Deckel der Kiste geöffnet, die Seth als Versteck diente, aber er hatte nicht unter dem Teppich nachgesehen.
Seth fragte sich, was Oma und Opa in diesem Moment wohl tun mochten. Bei Einbruch der Nacht würden sie ausflippen und denken, er wäre in den Wald davongelaufen und hätte sich verirrt, wäre gefangen genommen oder getötet worden. Jede dieser Schlussfolgerungen war ihm recht, solange sie nur nicht die Wahrheit errieten.
Die Entscheidung, sich in dem Rucksack zu verstecken, hatte er nicht allein getroffen. Am Heiligen Abend hatte Opa ihn in sein Büro geholt, um ihm zu vermitteln, dass er nicht zu dem Wyrmroost-Team gehören würde. Da er da bereits daran gedacht hatte, sich gegebenenfalls zu verstecken, hatte Seth die Nachricht mit stoischer Ruhe hingenommen, um jedweden Verdacht zu zerstreuen. Nachdem auch dem Rest der Familie die Namen der sieben Team-Mitglieder mitgeteilt worden waren, hatte sich Seth in sein Zimmer zurückgezogen, um nachzudenken. Dort hatte er Warren angetroffen, der einen Basketball auf seiner Fingerspitze balancierte.
»Jammerschade, dass du nicht mitkommst«, hatte Warren gesagt, den Blick auf den Ball gerichtet.
»Ich bin daran gewöhnt«, hatte Seth erwidert. »Die coolsten Sachen verpasse ich immer.«
»Denk mal scharf nach. Wie sehr wünschst du dir denn, dich verstecken zu
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