Die Zuflucht der Drachen - Roman
die Ohren lang und spitz, der Mund breit und ohne Lippen.
Der Goblin starrte in das Licht. Er hielt ein Apfelkerngehäuse zwischen den feisten Fingern, und seine Augen blitzten wie polierte Bronzemünzen.
»Wer bist du?«, fragte Seth mit harter Stimme und tastete nach dem Baseballschläger.
»Ich könnte dir die gleiche Frage stellen«, erwiderte der Goblin mit gefasster, mürrischer Stimme.
Seth fand den Griff des Baseballschlägers. »Du isst meine Vorräte.«
»Du dringst in Bubdas Heim ein.«
»Der Rucksack gehört meiner Schwester.« Seth hielt den Strahl seiner Taschenlampe auf den Goblin gerichtet und begann über Fässer und Kartons in den nicht zugestellten Teil des Raumes zu klettern. Der vierschrötige Goblin reichte Seth nicht viel weiter als bis zur Taille. »Wenn ich ihr verrate, dass du hier unten bist, werden sie dich rauswerfen.«
»Aber du versteckst dich doch ebenfalls«, erwiderte der Goblin mit einem listigen Lächeln.
»Mag sein. Aber ich würde mich mit Freuden stellen, um einen Spion loszuwerden.«
»Einen Spion? Du bist ein Verbündeter der Nacht. Du sprichst gut Trollisch. Ich dachte, du wüsstest von Bubda.«
»Und was ist das?«
»Ein Einsiedlertroll.«
»Ich habe schon mal von Einsiedlertrollen gehört«, erwiderte Seth. »Ihr versteckt euch auf Dachböden und unter Brücken. Ich bin noch nie einem begegnet.«
»Bubda wollte dir nicht begegnen. Aber du wolltest nicht gehen, und Bubda hat Hunger bekommen.« Der Troll stopfte sich das Gehäuse mitsamt Kernen und allem Drum und Dran in den Mund.
Seth hielt den Baseballschläger gesenkt. Es bestand keine Notwendigkeit, bedrohlich aufzutreten, wenn er die Begegnung ebenso gut friedlich gestalten konnte. »Wie lange lebst du schon hier?«
»Lange Zeit. Nicht nötig weiterzuziehen, sobald man einmal den richtigen Ort gefunden hat. Dunkel. Gut mit Vorräten eingedeckt. Ungestört. Mit Versteckmöglichkeiten. Aber zwei sind einer zu viel.«
»Du heißt also Bubda?«
»Richtig.«
»Ich bin Seth. Ich werde nur ein paar Tage hierbleiben. Dann kannst du den Rucksack wieder zurückhaben. Wie kommt es, dass Coulter dich nicht gefunden hat?«
Bubda ging in die Hocke, legte die Arme an – und war verschwunden. Der Troll sah jetzt genauso aus wie ein Fass. Als er sich wieder aufrecht hinstellte, war die Täuschung vorbei. »Bubda versteckt sich gut.«
»Das war cool«, meinte Seth. »Kannst du auch wie die anderen Sachen aussehen?«
»Bubda kennt eine Menge Tricks. Bubda zeigt sie niemals alle.«
»Hast du all diese Sachen gesammelt?« Seth leuchtete mit der Taschenlampe durch den Raum.
»Manches war hier. Manches hat Bubda mitgebracht. Bubda findet, was Bubda braucht.«
»Du bist die meiste Zeit hier unten?«
»Fast immer. Besser so.«
»Was ist, wenn du auf die Toilette musst?«
»Pass auf, welches Fass du aufmachst.«
Seth kicherte. »Ich müsste auch mal. Ich habe mir schon überlegt, mich hinauszuschleichen.«
»Wie du willst. Vielleicht gehst du ja für immer?«
Seth schüttelte den Kopf. »Du musst es schon noch ein paar Tage mit mir aushalten. Bist du hier nicht einsam?«
»Bubda versteckt sich gern. Bubda ruht sich gern aus.«
»Wir sollten Freunde werden. Ich bin ein Verbündeter der Nacht. Wir sprechen dieselbe Sprache.«
»Bubda ist gern allein. Andere Leute sind lästig. Du bist andere Leute, Seth. Besser als so mancher. Vielleicht besser als die meisten. Aber keine Leute ist am besten.«
»Werden wir miteinander auskommen?«, fragte Seth. »Wirst du versuchen, mich im Schlaf zu erwürgen?«
Bubda zuckte die Achseln. »Bubda hat dich bisher nicht belästigt. Bubda hat darauf gewartet, dass du gehst. Bubda kann noch länger warten.«
Seth warf einen Blick auf die riesige Holzmarionette. »In Ordnung. Nasch nicht so viel von meinem Essen. Und iss nichts von den Sachen der anderen. Wenn sie merken, dass etwas fehlt, sind wir erledigt. Verstanden?«
»Bubda weiß. Bubda hat nur von dort Essen genommen, wo du Essen genommen hast. Bubda hat anderes Essen.«
Seth fragte sich, welches andere Essen Bubda meinte. Aß er den verdorbenen Glibber in den alten Fässern? Der Gedanke löste einen Würgereflex bei Seth aus. »In Ordnung. Dann sind wir zwei jetzt wohl Zimmergenossen.«
»Mehr?«, fragte Bubda und deutete auf die Truhe.
»Sicher, Bubda. Nimm dir noch was. Du lässt mir meinen Freiraum, und ich werde dir deinen lassen.«
Der Troll schürzte die Lippen und nickte. »Abgemacht.«
Bubda reichte Seth kaum
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