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Die Zuflucht der Drachen - Roman

Die Zuflucht der Drachen - Roman

Titel: Die Zuflucht der Drachen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Penhaligon Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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undurchdringlicher Miene beugte sich die Frau hinab und schnitt den Knebel auf, ohne Kendras Wange auch nur anzukratzen.
    »Wage ja nicht zu schreien«, ermahnte die Frau sie in barschem Tonfall. »Niemand wird dich hören, und es schadet meinen Nerven.«
    »In Ordnung«, sagte Kendra.
    Die Frau lächelte. Sie hatte volle Lippen und einen breiten Mund. Perfekte Zähne. Ihre hellblauen Augen lagen weit auseinander, die Nase war etwas dick, die Ohren klein und ihr Gesicht irgendwie herzförmig. Obwohl einige dieser Merkmale für sich genommen eher unvorteilhaft wirkten, war ihr Gesicht insgesamt von auffälliger Schönheit. Die Jahre versuchten, ihr mit Falten und Runzeln das gute Aussehen zu nehmen, aber sie schlug erfolgreich mit Kosmetik zurück. »Na, bin ich der Entführer, den du erwartet hast?«
    »Was werden Sie mit mir machen?«, fragte Kendra geradeheraus.
    »Deine Fesseln lösen, wenn du versprichst, keine Schwierigkeiten zu machen. Ich sehe für dich bestimmt wie eine eingerostete alte Schachtel aus, aber glaub mir, du hast nicht die geringste Chance, aus diesem Raum zu entwischen. Und wenn du es versuchst, werde ich dafür sorgen, dass es dir leidtut.«
    »Sie sehen nicht alt aus«, erwiderte Kendra. »Ich werde nicht versuchen zu fliehen. Ich weiß, dass Sie Komplizen haben.«
    »Du läufst ernsthaft Gefahr, dich bei mir beliebt zu machen«, sagte die Frau und beugte sich erneut zu ihr herab. Die scharfe Klinge fuhr durch die Stricke.
    Kendra richtete sich auf und massierte die Stellen, an denen die Fesseln Abdrücke hinterlassen hatten. »Wer sind Sie?«
    »Ich bin Torina«, antwortete die Frau. »Deine Gastgeberin, deine Wärterin, deine Vertraute – was immer du in mir sehen willst.«
    »Ich denke, Entführerin trifft es wahrscheinlich am besten.«
    Torina neigte den Kopf und spielte gedankenverloren mit ihrer Perlenkette. »Ich bin froh, dass du etwas Mumm hast. Ich halte mich dieser Tage etwas im Hintergrund, was bedeutet, dass ich unter gemeinem Volk in einer Stadt im Mittleren Westen lebe und dieselbe Luft atme wie Ziegen, Schweine und Rinder.« Sie schloss die Lider und schüttelte sich. Dann blitzten ihre kristallblauen Augen wieder auf, direkt auf Kendra gerichtet. »Vielleicht kannst du helfen, diese Ödnis ein klein wenig erträglicher zu machen.«
    »Sind Sie irgendeine Art Hexe?«, erkundigte sich Kendra.
    Torina grinste. »Ich kann Dreistigkeiten verkraften, solange du höflich bleibst. Zu deinem Glück bin ich in meinem Leben schon so manch scharfer Hexe begegnet, daher nehme ich keinen Anstoß an deiner Frage. Ich bin an sich keine Hexe, obwohl ich durchaus mein Quäntchen Magie beherrsche. Innerhalb dieser Mauern ist meine Identität kein Geheimnis. Ich bin eine Lektoblix.«
    »Die Sorte, die anderen Leuten die Jugend aussaugen kann?«
    »Nicht schlecht«, sagte Torina beeindruckt. »Ja, ich ziehe Lebenskraft aus anderen, um jung zu bleiben. Bevor du anfängst, schlaue Bemerkungen zu machen: nein, ich habe es seit einer ganzen Weile nicht mehr getan, was mein abgehärmtes Äußeres erklärt. Ich ziehe es vor, meine Fähigkeit nicht zu verschwenden.«
    »Sie sehen nicht abgehärmt aus«, versicherte Kendra.
    Torina musterte sie durch gesenkte Lider. »Du hast den Bogen raus, Aufrichtigkeit zu heucheln. Wie alt schätzt du mich?«
    Kendra zuckte die Achseln. »Ende vierzig?« Sie schätzte mit Absicht ein wenig jung. Anfang fünfzig wäre ehrlicher gewesen.
    Mit argwöhnischem Blick stieß Torina ein kurzes, amüsiertes Lachen aus. »Mein Körper ist gegenwärtig zweiundsechzig.«
    »Sie machen Witze! Sie sehen wirklich viel jünger aus«, sagte Kendra und bemerkte, wie Torina sich unwillkürlich geschmeichelt fühlte. »Aber wenn Sie anderen Lebenskraft ausgesaugt haben, müssen Sie älter sein als zweiundsechzig.«
    »Meine Güte, ja, Kind! Mein tatsächliches Alter würde ich niemals preisgeben! Du würdest denken, dass du dich mit einer Mumie unterhältst!«
    Kendra blickte ihre elegante Wärterin fest an und holte bebend Atem. »Werden Sie mir meine Jugend aussaugen?«
    Torina kicherte. Ihr Lächeln wirkte plötzlich spröde, und auch wenn es offensichtlich dazu gedacht war, Kendras Furcht als lächerlich abzutun, schimmerte doch etwas Raubtierhaftes hindurch. »Nein, Kendra, du dummes Ding, der Sphinx würde mir den Kopf abreißen! Außerdem befolge ich einen strikten Verhaltenskodex. Ich bin dagegen, Kinder auszusaugen. Es hemmt ihr Wachstum, macht Missgeburten aus ihnen. Zu

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