Die Zuflucht der Drachen - Roman
suchten Trask und Gavin mit hellen Taschenlampen die Wände ab. Kendra war darauf vorbereitet, dass die Katastrophe auf Schritt und Tritt über sie hereinbrechen konnte. Sie wusste, Trask und Gavin konnten jeden Augenblick von einem feurigen Inferno verschlungen werden.
Sie überlegte, was der letzte Wächter für ein Wesen sein mochte. Ein weiterer Drache? Ein Riese? Ein gewaltiger Dämon wie Bahumat? Oder gar irgendeine noch tödlichere Kreatur, von der sie noch nie etwas gehört hatten? Die Möglichkeiten waren endlos.
Hinter einer weiteren Biegung kamen Stufen in Sicht. Sie reichten über die gesamte Breite der Schlucht und führten zu einem von Säulen gestützten Bauwerk hinauf. Bronzene Drachenstatuen flankierten das Portal. Die Säulen waren mehr als hoch genug, um Drachen oder Riesen Einlass zu gestatten.
Trask und Gavin warteten, bis die anderen sie kurz vor der breiten Treppe eingeholt hatten. »Sieht so aus, als hätten wir den eigentlichen Tempel erreicht«, sagte Trask. »Gavin hat sich freiwillig gemeldet, das Gelände vor uns auszukundschaften. Wir nehmen an, dass dort drinnen der dritte Wächter auf uns wartet.«
»Er geht allein auf Erkundungsgang?«, fragte Kendra.
»Ich werde ihm in einem Abstand von zwanzig Metern folgen«, beruhigte sie Trask. »Und ihm mit meiner Armbrust Deckung geben. Tanu soll mir folgen. Der Rest von euch bleibt zurück und wartet auf mein Signal.«
Kendra beobachtete, wie Gavin die Stufen hinaufstieg und in dem düsteren Gebäude verschwand. Trask war bereits auf halbem Weg die Treppe hinauf, als Gavin zurückgerannt kam und Trask Zeichen gab zu verschwinden. In großen Sprüngen kam Gavin hinterher, und Kendra wich unwillkürlich zurück, als er den Lichtkegel des nächsten Leuchtsteins erreichte. Seine Haut hatte eine bläuliche Färbung angenommen und war um Hals und Lippen herum fast schwarz geworden. Er sah sie mit schrecklich blutunterlaufenen Augen an. »Das Horn«, murmelte er und brach zusammen.
»Er ist vergiftet«, keuchte Seth und sprang in den Rucksack.
Kendra hätte ihren Bruder am liebsten dafür umarmt, dass er so schnell begriffen hatte. Sie setzte sich neben Gavin und nahm seine Hand. Ein buttriger Ausfluss quoll wie zähflüssige Tränen aus seinen Augenwinkeln. Die Hand fühlte sich kalt an. Schwarze Lider bedeckten seine Augen. Er begann zu zittern und zu zucken. Seine Adern traten immer stärker hervor, bildeten schwarze Linien unter der blauen, nasskalten Haut.
Tanu kniete sich neben den Rucksack, den Kopf und einen Arm in den Vorratsraum gestreckt. »Wirf es hoch!«, hörte Kendra ihn rufen, und einen Moment später war der Samoaner bei ihr, das Horn des Einhorns in der Hand. Er berührte Gavins blauschwarze Kehle mit der Spitze des Horns und ließ sie dort ruhen.
Die Zuckungen hörten sofort auf. Die schwarzen Adern verschwanden, und die bläuliche Verfärbung wich einer gesünderen Farbe. Hustend öffnete Gavin die Augen, dann griff er mit verschwitzter Hand nach dem Horn. »Das war knapp«, hauchte er.
»Geht es ihm besser?«, fragte Trask.
»Das Horn reinigt«, erklärte Tanu. »Wenn es Gift war, sollte er bald wieder auf dem Damm sein.«
»Mir geht’s bestens«, sagte Gavin und richtete sich auf. »Es war G-G-Gift. Wir sind in ernsten Schwierigkeiten.«
»Was hast du gesehen?«, fragte Trask.
»Nicht viel. Ich habe kaum einen Blick auf sie erhascht. Ich habe nicht mit ihr gesprochen. Ich hatte keine Zeit dazu. Das Gift hat sofort gewirkt und sich schnell ausgebreitet. Aber ich musste mich auch nicht mit ihr unterhalten, um zu wissen, wer sie ist. Der dritte Wächter ist Siletta.«
»Der Giftdrache«, stöhnte Tanu.
Gavin nickte. »Sie hat mich nicht angehaucht oder dergleichen. Die ganze Luft dort drin ist verpestet.«
»Ich habe noch nie von einem Giftdrachen gehört«, warf Trask ein.
»Viele glauben, sie sei nur eine alte Legende«, erklärte Tanu. »Oder zumindest schon lange tot. Böse Tränkemacher schwärmen nur so von ihren Fähigkeiten. Sie ist absolut einzigartig.«
»Giftig bis ins Mark«, bestätigte Gavin. »Ich habe einmal mit einem Drachen gesprochen, der sie vor unerdenklichen Zeiten gekannt hat. Ihr Atem, ihr Fleisch, ihr Blut, ihre Tränen, ihre Körperausscheidungen, alles ist tödliches Gift. Habt ihr mitbekommen, wie ich ausgesehen habe? Und das einfach nur, weil ich im selben Raum war wie sie. Wir sollten alle das Horn berühren. Selbst hier draußen könnten wir dem Gift ausgesetzt sein.«
Sie
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