Die Zuflucht der Drachen - Roman
Brieffreunde.« Sie biss sich auf die Unterlippe. »Glaubst du, sie brauchen ihn vielleicht?«
»Garantiert. Wyrmroost ist ein Drachensanktuarium, und er ist das Drachenzähmer-Wunderkind. Ihr werdet auch euer zweites Date in einem tödlichen Wildpark haben! Die nächsten beiden Male solltet ihr Minigolfen gehen.«
»Du bist ein Spinner«, sagte Kendra. »Und du bist meiner Frage ausgewichen. Warum willst du unbedingt mitkommen?«
»Sicher würde ich schrecklich gern mal Drachen sehen. Wer will das nicht? Außer dir, meine ich. Der wichtigere Grund aber ist ganz simpel: Wir müssen den Sphinx aufhalten, oder wir sind alle dem Untergang geweiht, und ich weiß, dass ich dabei helfen kann.«
»Es gibt viele Wege, um zu helfen«, wandte Kendra ein.
»Super Argument. Vielleicht kann ich euch ja den Proviant einwickeln.«
»Du brauchst nicht bei allem dabei zu sein.«
»Nein. Nur bei den langweiligen Sachen. Vielleicht werde ich dem Sphinx mal einen ernsten Brief schreiben.«
Kendra legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Was auch passiert, versprich mir bitte, dass du keine Dummheiten anstellst.«
»Oder keine Heldentaten. Hängt von der Betrachtungsweise ab.«
»Versprich es.«
Seth strich über das Horn. »Wir werden sehen.«
KAPITEL 16
Abreise
W eihnachten war immer Kendras Lieblingsfest gewesen. Früher hatten sich in ihrer Vorstellung an diesem Tag Magie und Realität vermischt. Die gewohnten Gesetze und Abläufe des Alltags waren außer Kraft, wenn der Weihnachtsmann im Schutz der Dunkelheit mit Geschenken beladen durch den Schornstein ins Haus geschlichen kam. Kendra hatte immer gehofft, lange genug aufzubleiben, um ihn auf frischer Tat zu ertappen, aber sie war immer eingeschlafen und musste sich mit einem Teller voller Plätzchen und einem kleinen Glückwunschbriefchen zufriedengeben.
Mit dem Älterwerden war Weihnachten zu einem Anlass geworden, Freunde und Verwandte zu treffen. Die Weihnachtszeit bedeutete edle Festmähler mit Oma und Opa Larsen, in deren Verlauf sie mit Silberbesteck Truthahn oder Lamm von feinen Porzellantellern aß und das Ganze dann mit so viel Pastete krönte, wie sie nur in sich hineinstopfen konnte. Die Geschenke, die man verteilte und bekam, taten ein Übriges, um den Abend zuvor mit prickelnder Vorfreude zu erfüllen und dem Weihnachtstag selbst eine ganz besondere Atmosphäre zu geben.
Dieses Jahr war das anders.
Zum einen hielten ihre Eltern sie für tot. Zum anderen kam das Fest diesmal total unvorbereitet. Kendra freute sich normalerweise Wochen im Voraus auf den Weihnachtstag, doch dieses Jahr hatte sie nicht einmal gemerkt, dass Heiligabend war, bis Seth es erwähnte, bevor sie zu Bett gingen. Wie sollte sie auch aufs Datum achten, wenn all ihre Gedanken um die bevorstehende, möglicherweise tödliche Mission kreisten?
Kendra war zu dem Schluss gelangt, ihr Bruder sollte am besten Wahrsager werden. Er hatte genau richtiggelegen, als er Warren, Gavin und sie als Mitglieder der Einsatztruppe genannt hatte. Tanu würde ebenfalls mitkommen. Und Opa hatte exakt diejenigen Gründe aufgezählt, die Seth erwartet hatte. Ihr Bruder hatte auch korrekt vorhergesagt, dass er selbst nicht dabei sein würde. Glücklicherweise hatte er die Nachricht viel besser aufgenommen, als sie erwartet hatte. Oma und Opa hatten erleichtert und überrascht gewirkt, als er ihnen das Horn ohne weiteres überließ. Vermutlich hatte es geholfen, dass Seth die Entscheidung bereits erwartet hatte. Welche Gründe auch immer hinter seiner Einwilligung steckten, Oma und Opa waren hinreichend beeindruckt gewesen, um auf einen offiziellen Hausarrest zu verzichten. Manchmal taten Kendra ihre Großeltern leid. Es war schlichtweg unmöglich, einem so findigen Burschen, der nicht davon ablassen wollte, sich unerlaubt davonzustehlen, Hausarrest zu geben, ohne ihn in eine Zelle zu sperren?
Jetzt saß Kendra allein im Wohnzimmer und genoss den Duft der Pasteten, die in der Küche gebacken wurden. Es gab keinen Weihnachtsbaum, aber ihre Großeltern hatten Strümpfe mit Leckereien gefüllt und Seth und ihr Geschenke überreicht. Kendras Geschenke waren auffällig gut auf die bevorstehende Mission zugeschnitten gewesen – robuste Stiefel, ein dicker Mantel, neue Handschuhe –, aber wenigstens hatte sie so etwas zum Auspacken gehabt.
Sie würden das Festmahl mittags zu sich nehmen, damit sie, Warren und Tanu rechtzeitig aufbrechen konnten, um ihren Flug nicht zu verpassen. Am Abend sollten sie sich in
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