Die Zuflucht der Drachen - Roman
einen geringen Verehrer, der deine Eleganz von Ferne bewundert. Alle großen Liebesgeschichten haben ihre tragischen Aspekte.«
Kendra stand lächelnd vor ihm. »Danke, Verl. Die Statue ist wunderschön. Sie hat offensichtlich eine Menge Arbeit gekostet. Frohe Weihnachten.« Sie nahm Verl den Hut ab und gab ihm einen flüchtigen Kuss auf die Stirn.
Verls Gesicht leuchtete auf wie ein Weihnachtsbaum. Sein Blick huschte hin und her, und er wedelte mit den Fingern. Dann sah er Kendra in die Augen und verbeugte sich steif. »Frohe Weihnachten.« Schließlich wandte er sich von ihr ab und stieß die Faust in die Luft. Kendra hörte ihn etwas murmeln wie: »Newel schuldet mir eine Stunde Fernsehen.« Dann schwang er sich über das Verandageländer und lief quer durch den Garten davon.
Kendra hielt noch immer seinen Hut in der Hand.
Seth kam auf die Veranda zurück. »Du hast ihm gerade das ganze Jahr versüßt.«
»Ich kann nicht glauben, dass er eine Statue von mir gemacht hat.«
»Du musst damit aufhören, zu einer so holden jungen Maid zu erblühen«, kicherte Seth.
Kendra boxte ihn in den Arm.
»Ich hab dir doch gesagt, den Burschen hat es schwer erwischt. Er hat seinen Hut vergessen? Den hat er auch selbst gemacht, weißt du.«
»Was soll ich damit anfangen?«
»Lass ihn auf der Veranda. Nimmst du dein Denkmal mit ins Haus?«
»Ich denke, ich werde es erst einmal hier draußen lassen. Warum Trauben und eine Toga?«
Seth öffnete die Tür. »Verls Geist ist ein Rätsel, das besser ungelöst bleibt. Oma hat gesagt, das Essen wäre fast fertig. Willst du helfen, den Tisch für deine letzte Mahlzeit zu decken?«
»Das ist nicht komisch! Was, wenn es wirklich meine letzte Mahlzeit ist?«
Seth verdrehte die Augen. »Das wird nicht der Fall sein. Ihr werdet euch sicher auf dem Flughafen nochmal etwas besorgen.«
Das Essen bestand aus einem riesigen, mit Ananas garnierten Kochschinken, Knoblauchkartoffelpüree, mit braunem Zucker gesüßten Möhren, grünen Bohnen und heißen Butterbrötchen. Zum Nachtisch gab es Kürbis-, Apfel- und Pekannusspastete sowie Vanilleeis.
Seth aß wie ein Scheunendrescher, schlang sein Dessert hastig hinunter und bat, als Erster aufstehen zu dürfen.
Kendra gab sich Mühe, hatte aber keinen rechten Appetit. Sie nahm sich kleine Portiönchen, stocherte darin herum und schaffte es schließlich, ein Stück warme Apfelpastete hinunterzuwürgen. Nach dem Essen sprachen Oma und Opa ihre Abschiedsworte, aber Kendra fiel es schwer, sich zu konzentrieren.
Ihr Besuch auf der Verlorenen Mesa war eine beängstigende Erfahrung gewesen, und diese neue Unternehmung würde wahrscheinlich noch schlimmer werden. Warren hatte den Auftrag, eigens auf sie aufzupassen. Die Leutnants hatten ein Team von fünf Personen vorgeschlagen und dieses Team um Kendra ergänzt – und um Warren, der sie beschützen sollte. Der Plan sah vor, dass sie und Warren sich aus allen gefährlichen Situationen heraushalten und im Haus des Verwalters verstecken sollten. Aber Kendra hatte mehr als einmal die bittere Erfahrung gemacht, wie leicht solche Pläne vereitelt werden konnten. Niemand wusste viel über Wyrmroost. Angeblich war Patton seit vielen Jahrzehnten der Einzige gewesen, der sich in das Sanktuarium gewagt hatte. Kendra verstand jedoch, dass die Mission absolut notwendig war, also hatte sie eine beherzte Miene aufgesetzt und versucht, möglichst zuversichtlich zu wirken, damit Oma und Opa ihrer Teilnahme auch zustimmten. Was sie am Ende auch taten.
Die Zeit zum Aufbruch kam schneller, als Kendra lieb war. Sie ging mit Dale die Treppe zum Dachboden hinauf, um ihre Taschen zu holen, und wollte sich von Seth verabschieden. Doch statt ihres Bruders fand sie auf dem Bett einen rauchgrauen, glänzenden Brustpanzer mit einem Brief darauf.
Liebe Kendra,
frohe Weihnachten! Dieser Brustpanzer ist aus einem superstabilen Metall namens Adamant. Die Satyre haben ihn mir gegeben, und ich will, dass du ihn in Wyrmroost trägst. Er müsste klein genug sein, dass du ihn ohne Probleme unter deinen Kleidern tragen kannst. Jedenfalls war er für mich ziemlich klein, und dir wird er wahrscheinlich besser passen.
Ich hoffe, du verzeihst mir, dass ich mich nicht persönlich von dir verabschiede. Es ist hart für mich, nicht mitkommen zu dürfen. Ich habe einen Platz im Wald gefunden, wo ich hingehe, wenn ich Zeit zum Nachdenken brauche. Der Ort ist sicher und nicht allzu weit entfernt, und ich werde mich auch nicht von den
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