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Die Zukunft des Mars (German Edition)

Die Zukunft des Mars (German Edition)

Titel: Die Zukunft des Mars (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Klein
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Wunde fast genau der Spanne zwischen ihrem Daumennagel und der Kuppe ihres Zeigefingers entsprach. Und als sie ihre Hand nach unten kippte und alle Finger einwärts tauchen ließ, bekamen wir auch einen guten Eindruck von der Räumlichkeit der Verletzung, von jener Menge Fleisch, die Sursur verloren hatte. Schließlich befahl sie den noch immer wortlos wimmernden Gehilfen, ihr dabei zu helfen, den Körper des Warmsteinfinders umzudrehen.
    Alide wälzt sich in Twitwis Schoß. Ohne den Kopf zu heben, aber mit heller, überklarer Stimme, als hätte sie das kurze Schlummern dieses Mal besonders erquickt, beginnt sie zu erzählen. Sie habe zu Hause, in Germania, schon einmal ganz viel Blut gesehen. Erst neulich. Eine Riesenmenge Blut! Fast so viel Blut wie vorhin bei dem toten Mann. Elussa und sie seien mitten in der Nacht von grässlichem Geschrei aus ihren Träumen gerissen worden. Von unten aus dem Hof sei es gekommen, aber ihre Mutter habe, durch den Vorhangspalt spitzelnd, nichts erkennen können. Dennoch sei sie erst ins Bett zurückgekommen, nachdem das eindeutig aus zwei Kehlen stammende Geheule, ebenso plötzlich wie es begonnen habe, abgerissen sei. Und dann, als sie am nächsten Morgen eine Tüte Kartoffelschalen zur Schweinetonne ihrer Hausgemeinschaft in den hinteren Hof hinüberbrachten, hatten sie im Schnee das viele viele Blut entdeckt.
    Das Tier, von dem es stammte, hatte sich noch zum Sterben zwischen die Mauer und das runde Blech der Tonne schleppen können. Alide hätte es liebend gern an seinem buschigen Schwanz hervorgezogen, um es genauer anzuschauen, aber ihre Mutter war in Eile, weil sie in der ersten Stunde unterrichten musste. Als sie am Abend nach Hause kamen, hatte sich schon jemand anders das tote Tier geholt. Vielleicht, um es zu kochen. Oder des Pelzes wegen. Zum Glück seien sie aber vorher bei Opa Spirthoffer gewesen, dem ihre Mutter dabei helfe, dass ihm sein altes Russisch wieder von unten in den Kopf hochblubbere. Sie denke nämlich, dass sich die verlorenen Wörter irgendwo im Bauch verborgen hielten und stelle sich das Wiedereinfallen, zumindest bei den über hundert Jahre alten Leuten, so ähnlich wie ein Rülpsen vor. Elussa hingegen meine, das Vergessene sei irgendwo im Kopf versteckt. Aber auch ihre Mutter, die klügste Lehrerin der ganzen Schule, habe sichmanchmal schon geirrt. Nicht nur zu Hause, sondern sogar im Unterricht! Und außerdem sei doch im Bauch mehr Platz dafür, für diese nur scheinbar ganz und gar verschwundenen Sachen.
    Natürlich hatte sie Opa Spirthoffer gleich als Erstes, bevor es mit dem Russisch-Lernen losging, nach dem Blut, nach dem Geschrei und nach dem Tier gefragt. Er wisse nämlich alles, auch wenn er manchmal, weil ihm die Antwort nicht gleich einfalle, in seine Bücher gucken müsse und leider das richtige Buch nicht immer sofort finde. Aber dieses Mal habe er nirgends nachschlagen müssen. Er habe nur darum gebeten, das zweistimmige Schreien, so gut sie es erinnern würden, für ihn nachzumachen. Also hätten sie für ihn losgeheult. Obwohl es grässlich klang, fast genauso schlimm wie in der Nacht, mussten sie und Elussa schließlich über ihr gemeinsames Gejaule lachen.
    Opa Spirthoffer hatte nicht mitgelacht, sondern sich ernst erkundigt, ob sie ihm das Fell des toten Tiers beschreiben könnten. Das hatte leider keine von ihnen richtig hinbekommen. Die langen, blutig verklebten Haare fielen ihnen noch recht deutlich ein, aber über deren Farbe konnten sie nichts Sicheres sagen. Vielleicht weil Braun und Grau so früh an einem Wintermorgen noch fast gleiche Farben sind. Ob einer von ihnen, ob vielleicht Twitwi wisse, woran man das Fell des Waschbären von dem eines Marderhundes unterscheiden könne? Twitwi schüttelt nur stumm den Kopf, und dass Spispi und Hohos Köpfe nickend nach unten wippen, kann die Kleine, die Wange auf Twitwis Schenkeln, nicht erkennen.
    Und ich? Was könnte ich Alide an Wissensfrüchten bieten? Von Hunden habe ich mehrfach gelesen, von Bären selten, aber als eben die Silbe «bär» über Alides Lippen kam, stand mir zumindest der Wortlaut einer besonders auffälligen Stelle im letzten Heiligen Buch vor Augen. Von einemgroßen Bären ist dort die Rede, genau genommen vom Gewicht des Tiers, das man, zum Gespött eines anderen Menschen, schleppen muss, weil einem just dieser andere eben diesen Bären auf dem Rücken festgebunden hat. Der Sinn des Bildes ist mir dunkel, und auch Smosmo konnte mir, als wir gemeinsam darauf

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