Die Zukunft des Mars (German Edition)
er selbst die Schuld. Die Rechnerleistung der Bürschchen sei einfach zu mickrig, um mit der Reizüberflutung zu Rande zu kommen, die entstehe, sobald ein gutes Dutzend von ihnen auf engem Raum in Fahrt geriete.
Wahrscheinlich habe ein Passant sich einen Spaß daraus gemacht, die Bande mit rhythmischem Klopfen und Rufen so lange zu stimulieren, bis sie, gehorsam antwortend und sich wechselseitig weiter hochschaukelnd, die Grenze ihrer Verarbeitungskapazitäten überschritten. Ihm sei schon eine Idee gekommen, wie sich solchen Tumulten zukünftig vorbeugen lasse. Gleich nach dem Unterricht wolle er diesen besonders eindrucksvollen Gesellen hier – sehe er nicht aus wie eine halbe Kokosnuss! – so aufrüsten, dass er im Notfall das Kommando übernehmen und die anderen im Zaum halten könne. Dies sei technikhistorisch natürlich alles andere als korrekt; ein kundiger Sammler fände einen derartigen Eingriff bestimmt unverzeihlich. Andererseits stimme die Adventszeit manchmal sogar die strengsten Fundamentalisten versöhnlich.
Elussa begriff nicht ganz, was er damit sagen wollte, aber die Redseligkeit des Alten war ihr für den Anfang nur recht. Verstockte Sprachschüler bedeuteten ein hartes Brot. Doch auch einem haltlosen Monologisieren wollte sie vorbeugen. Folglich nahm sie das Heft der Unterhaltung in die Hand, wechselte ins Russische und begann damit, die vorhandenen Kenntnisse und Fähigkeiten auszuloten. Spirthoffer verstand sie problemlos, wenn sie sich zu den Dingen äußerte, die sie vor Augen hatten. In den Regalen, vollgestopft mit mehr oder minder archaischen Apparaten, fand sich hierfür Anlass genug. Bei der Betrachtung eines komisch weit nach hinten ausladenden Fernsehapparats kamen sie sogar ins Scherzen. Spirthoffer nannte ihn auf Deutsch ein Bildröhrengerät und fragte sie nach der russischen Bezeichnung. Elussa glaubte sich zu erinnern, dergleichen Geräte, halb Möbel, halb Maschine, als kleines Mädchen in Filmen gesehen zu haben, hatte aber kein Wort parat. Also wich sie aus und sagte, die deutsche Bezeichnung sei seltsam irreführend, untypisch für diese früher als präzis gerühmte Sprache, denn die Form erinnere überhaupt nicht an eine Röhre, sondern eher an eine ungleichmäßig ausgebeulte Kugel. Beulenfernseher wäre ihres Erachtens ein näherliegender, dem Aussehen angemessener Name gewesen. Spirthoffer meinte, gegen eine solche lustig späte Umbenennung habe er, gerade im Rahmen ihres zukünftigen Unterrichts, nicht das Geringste einzuwenden.
Als sie ihm ein russisches Schulbuch ihrer Tochter vorlegte, las er die einfachen Sätze langsam, aber mit durchweg sinnfälliger Betonung ab. Allerdings weigerte er sich, eine kleine Probe seiner Schreibfähigkeit abzulegen. So weit gehe sein Ehrgeiz nun doch nicht mehr. Lesen und Sprechen seien ihm Herausforderung genug. Also verschaffte sich Elussa nach und nach einen ersten Überblick über den Wortschatz und die syntaktischen Strukturen, die ihremSchüler zu Gebote standen. Woher seine Altkenntnisse genau stammten, wollte er ihr nicht verraten. Er blicke so selten wie möglich in den biographischen Schlund zurück. Zum Vergangenen habe er, als weit Jüngere möge sie ihm dies nachsehen, ein gelinde gesagt zwiespältiges Verhältnis. Die Geschichte der Geräte, die er täglich repariere, reiche ihm vollauf, um seinen diesbezüglichen Durst zu stillen. Diese Überlegungen brachte er erneut auf Deutsch vor. Aber grundsätzlich war er damit einverstanden, dass der Unterricht, einschließlich der unumgänglichen grammatischen Erläuterungen, so weit wie möglich auf Russisch vonstattengehen sollte.
Spirthoffer tappte, als ihn seine frisch berufene Lehrerin wieder verlassen hatte, erst einmal an das Medikamentenfach seines Kühlschranks. Wider Erwarten hatte der Cocktail aus drei bewährten Muntermachern nicht lang genug vorgehalten. Gegen Ende der vereinbarten Doppelstunde war es ihm schwergefallen, seine Rolle überzeugend zu spielen. Zudem hatten ihm Gestalt und Ausdruck seiner Besucherin überraschend stark zugesetzt. Wie diese sibirische Westwandererin Deutsch sprach, die unheimliche Innigkeit, mit der sich ihre Sätze rundeten, hätte ihm bereits bei ihrem Telefongespräch eine Warnung sein müssen. Ihr Russisch war zum Glück ein wenig leichter auszuhalten. Dass ihm beides aus einem asiatischen Antlitz entgegenklingen würde, war nicht vorherzusehen gewesen.
Vielleicht sollte er morgen, sobald es nichts mehr abzulesen galt, die
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