Die Zukunft des Mars (German Edition)
war, um das Unterrichtsgeld zu holen und dann die enge Wendeltreppe wieder ins Erdgeschoss seines Ladens herabgetapst kam, tat er dies wie ein Greis, mit den Schuhspitzen suchend, das spinnwebfein behaarte Haupt, das bunte Käppi auf dem Hinterkopf, nach vorne geneigt, als müsste das Hinschauen der Gewohnheit beistehen. Aber in den beiden Stunden zuvor hatte, sobald sich ihre Blicke kreuzten, ein erstaunlich wirkmächtiges Lächeln die Haut seines Gesichts straff gezogen, und der gesamtemimetische Ausdruck des Alten war, ohne jeden mildernden Übergang, um viele Jahre in seine Daseinsvorzeit zurückgeschnappt.
Auf ihren Aushang am schwarzen Brett der altgläubigen Gemeinde hatte Elussa insgesamt fünf Anrufe erhalten. Die ersten vier waren einschlägig ärgerlich gewesen. Zum Glück streikte der Bildschirm ihres Don-Phons schon eine Weile, und sie musste die unverschämten Kerle nicht sehen. Die Linse ihres Apparats hatte sie sicherheitshalber mit einem Stückchen Papier zugeklebt, um einer einseitigen Übertragung vorzubeugen. Der vierte Anruf hatte die drei vorausgegangenen noch einmal an Dreistigkeit überboten. Und so kam es, dass Elussa Herrn Spirthoffer, der sich kaum eine Minute später als Fünfter und bislang Letzter nach dem offerierten Einzelunterricht erkundigte, unwillkürlich mit der Verdopplung des vorgesehenen Stundenhonorars konfrontierte, noch dazu in einem barsch unhöflichen Ton, als ließen sich hiermit die Zweideutigkeiten, in die seine Vorgänger ohne Umschweif verfallen waren, bereits im Keim ersticken.
Spirthoffer hatte geantwortet, der geforderte Betrag gehe in Ordnung, und auch für den An- und Abweg werde er sie angemessen entschädigen. Sein Deutsch klang merkwürdig körnig, fast mineralisch, als stammte es aus einer Zeit, die in den Körpern, die ihr teilhaftig geworden waren, einen kristallinen, salzartigen Niederschlag zurückgelassen hatte. Genauer vermochte es Elussa, obwohl sie stolz auf ihr translinguales Feingefühl war, nicht zu bestimmen. Sie und ihre Tochter Alide waren erst vor gut einem Jahr aus der chinesischen Provinz Sibirien in die größte Stadt des Freigebiets Germania gekommen, um dort die Wohnung ihres älteren Bruders zu übernehmen. Zu viele Sorgen, zu viel Alltagsmühsal, zu wenig Muße, um den hiesigen Männern, die Elussa, obwohl sie tapfer mit ihren Vorurteilen rang, nochimmer nicht recht leiden mochte, mit offenem Sprachsinn und unbefangenem Gemüt zu begegnen.
Ihrem Töchterchen würde der Alte, falls sie ihn irgendwann zu Gesicht bekommen sollte, bestimmt gefallen. Bereits das Schaufenster seines Ladens hatte Alide, ohne dass ihr etwas über dessen Eigentümer verraten worden war, sogleich ins Herz geschlossen. Gestern, am Vortag des ersten Unterrichtstermins, war das Wetter, wie im Dreifaltigkeitsradio prophezeit, umgeschlagen. Als Elussa am späten Nachmittag losging, um Alide aus der Musik- und Tanzgruppe der Gemeinde abzuholen, wehten ihr noch heftige Böen den seit Tagen anhaltenden, eisig kalten Sprühregen ins Gesicht. Aber wie sie dann zusammen zurückmarschierten, in ihrem gemeinsamen mittellangen Mutter-Tochter-Schritt, den sie sich erst in ihrer hiesigen Zeit angewöhnt hatten, Alide tüchtig ausstiefelnd, Elussa gebremst tippelnd, ließ der Wind plötzlich nach, und es trat ein, was die Stadt ein volles Dutzend Jahre entbehrt hatte. Einzelne, schier übernatürlich große Flocken trudelten über die Kante des Schirms, dessen Schutz sie sich teilten. Und ganz langsam, wie von einem kunstsinnigen, also spannungsbewussten Wolkenmelker hinauszögert, nahm ihre Dichte zu.
Anlass genug für einen kleinen Umweg durch das naheliegende Pärkchen, von dessen einst stolzem Baumbestand die Brennholzmacher ausnahmslos nur kolossale Stümpfe übriggelassen hatten. Alide gefiel, wie steil und dicht die Nottriebe die schon weiß bedeckten Schnittflächen umstanden. Sie meinte, jetzt wo es dunkel werde, sähen sie wie riesige Igel aus. Hand in Hand erreichten sie die andere Seite der Grünanlage, und Elussa stellte zufrieden fest, dass ihr Orientierungssinn sie richtig geführt hatte. Da war das Haus, auf das sie nun, noch ohne ihrer Tochter von Spirthoffers Anruf zu erzählen, einen misstrauisch vorsorglichen Blick werfen wollte. Wie von ihrem zukünftigen Schüler am Don-Phonbeschrieben, beherbergte das Gebäude im Erdgeschoss einen libanesischen Imbiss und daneben die Ladenwerkstatt des alten Herrn: Das Elektronische Hospital.
Weil das Händchen des
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