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Die Zukunft des Mars (German Edition)

Die Zukunft des Mars (German Edition)

Titel: Die Zukunft des Mars (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Klein
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brachte. Die Gewissheit, nun in kurzen Abständen derart eindringlich an die Existenz von Don Dorokin erinnert zu werden, hatte Umann umgehend beruhigt. Der Schlag der Stunden schien ihm Muße zu schenken. Umann, den seine Teamleute einst, in der Guten Alten Zeit, untereinander nicht «den Chef», sondern in zutraulichem Respekt nur «unseren Langen» genannt hatten, wollte ein schönes Weilchen in diesem Versteck ausharren. Zwei oder gar drei Wochen waren mit dem Säckchen Hasel-Walnuss-Mischung und den beiden großen Kanistern Reinwasser, die er nach oben geschleppthatte, problemlos auszuhalten. Und wie ließ sich besser in aller Ruhe über das unvermutete Interesse an seiner Person nachdenken als in einem ans Fenster gerückten Stuhl, den Blick gerichtet auf die frisch schneebemützten Antennenschalen rund um das Kreuz auf der Kuppel der Kirche?
    Die Dachwohnung war großzügig geschnitten, möbliert in einem Stil, der Mode gewesen war, bevor es mit Moden und Stilen überhaupt ein Ende genommen hatte, und sie enthielt den gesamten einstigen Lebenskram eines Geschlechtsgenossen. Auf das Alter, das dieser erreicht hatte, ließ sich aus der Vielfalt der elektronischen Apparate schließen. Gleich vier Datenträgergenerationen und die dazugehörigen, stets hochwertigen Abspielgeräte waren versammelt. Sein Vorwohner musste zuletzt ein Mann von gut fünfzig Jahren gewesen sein. Natürlich war keine Stromquelle verfügbar, um zu prüfen, welche der hübschen Maschinchen sich noch in Betrieb nehmen ließen. Aber es gab auch bedrucktes Papier in Hülle und Fülle, einige hundert Bücher, vor allem historische Romane und populärwissenschaftliche Werke. Auf dem großen Glastisch der Sitzgruppe fand sich zudem ein ganzer Stapel des esoterischen Schunds, der in der ersten Phase der Seuche hohe Auflagen erklommen hatte: Kräuter-, Heilstein- und Wunderwasser-Ratgeber, dazu diverse Körper-Seele-Ertüchtigungstraktate, all das, was dereinst Schutz vor dem Großen Zappeln versprochen hatte und Umann nun ermöglichte, die Datierung zu präzisieren: Die Räume mussten bereits im sogenannten Zappelsommer, als die Stadt von der anschwellenden Wucht der ersten Erkrankungswelle bis ins Mark ihres Metropolendünkels erschüttert worden war, in den Zustand heiler Ungenutztheit eingetreten sein, der nun ihn, den Eindringling, so angenehm und hilfreich umfing.
    Allein vom Staub fühlte sich Umann doch gestört. Obwohl alle Fenster geschlossen waren, hatte sich eine erstaunlichdicke Schicht silbrig grauen Pulvers niedergeschlagen, wahrscheinlich Aschepartikel aus den unteren Geschossen, die der Luftzug durch den Schacht der Klimaanlage hereingetragen hatte. Beim Putzzeug unter der Spüle fanden sich ein Handfeger und eine Kehrschaufel, aber der feine Schmutz wirbelte selbst bei sachtem Zusammenschieben ärgerlich auf. Also beschloss Umann, obschon ihm sein Sauberkeitsfimmel in der Wirrnis der letzten Jahrzehnte oft genug lächerlich obsolet vorgekommen war, noch vor der ersten Nachtruhe gründlich feucht zu wischen.
    Da das Reinwasser für eine derartige Aktion zu kostbar war, stieg er noch einmal in die unteren Stockwerke hinab. Bereits einen Treppenabsatz tiefer entdeckte er eine mit einer Plane sorgfältig abgedeckte, noch halbhoch gefüllte Badewanne, auch zwei Eimer ließen sich nach geduldiger Suche finden, und als er sein Putzwasser nach oben schleppte, fiel ihm zum ersten Mal der mannslange Plastiksack auf. Vielleicht hatte er ihn bisher im Eck hinter dem Eingang zur zweiten Dachgeschoßwohnung übersehen, weil ihn ein allerletzter Rest jener Scheu vorbeischauen gemacht hatte, die man früher, zumindest in den ersten Monaten der Seuche, als eine sofortige Abholung noch die Regel war, vor diesen luftdichten und wasserfesten Transportbehältern empfunden hatte. Am Ende des Reißverschlusses hing das obligatorische Namenskärtchen. Vor- und Nachname stimmten mit dem Schild neben der Türklingel seines Unterschlupfs überein.
    Das Große Zappeln verdankte seinen albernen, aber für alle Zurückblickenden einzig gültigen Namen den ersten vier Wochen der Seuche, jenem närrischen April, als fast jeder, der mit einem Infizierten zu tun bekam, von dessen Gebaren belustigt war. Die Erkrankten der Anfangsphase waren ausschließlich Männer um die Dreißig. Aufgekratztes Geschäftigsein und ehrgeizige Ungeduld gehörten beiden meisten so selbstverständlich zum alltäglichen Benehmen, dass die Steigerung der einschlägigen

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