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Die Zukunft des Mars (German Edition)

Die Zukunft des Mars (German Edition)

Titel: Die Zukunft des Mars (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Klein
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über den Datenfluss der zurückliegenden Stunden verschaffte, dämmerte ihm aus dem eigentlich ultraleisen, aber plötzlich wie das Flügelrauschen winziger Motten doch hörbar gewordenen Kühlgeräuschen ihrer Rechner die Einsicht, dass es mit seiner kleinen, feinen Spezialtruppe aus und vorbei war. Heute würden alle ohne Entschuldigung fernbleiben, weil einem jeden die kurze Auszeit, die sich ihr junger Chef gegönnt hatte, als die rechte Gelegenheit erschienen war, sich auf eigene Faust aus dieser Stadt, aus dem neben Moskau, London, Paris und Tel Aviv fünften Zentrum der Pandemie, davonzumachen.
    Umann stellte sich ein exquisit schönes Trinkglas, ein Einzelstück aus den Küchenhängeschränken seines Vorwohners, auf den Couchtisch, dessen Platte er mit einem Geschirrtuch nicht bloß trocken gerieben, sondern schlierenlos blank gewienert hatte. Dazu holte er sich einen Likör, von dem sich gleich drei Flaschen in der Hausbar befanden: Danziger Goldwasser! Irgendwann vor ein paar hundert Jahren musste ein verrückter Apotheker es für gesund befunden haben, schlichten Kornschnaps nicht nur mit Kräuterextrakten,sondern auch noch mit hauchdünnen Goldplättchen anzureichern, und in aberwitziger Kontinuität war dergleichen bis in die Abendröte der Guten Alten Zeit hinein hergestellt worden.
    Der Gesamtinhalt der Hausbar war wohl über fünftausend Eurorubel wert. Wie viele der Kopfarbeiter, die von der Seuche verschont, aber zu Erwerbslosen gemacht worden waren, hatte sich Umann in den Folgejahren mit allerlei Kleinhandel durchgeschlagen. Eine Zeitlang hatte er selbst ein sorgsam verborgenes Lager Alt-Alkoholika unterhalten. Aber eines Abends war es von der Bande, die den einschlägigen Markt seines Viertels dominierte, ausgehoben worden, und nach einem idiotisch riskanten Feuergefecht hatte er froh sein müssen, seine Haut, die Klamotten, die er trug, die leergeschossene Pistole und die auf den Bauch geschnallte Geldtasche in die anbrechende Nacht hinausgerettet zu haben.
    Das Destillat schmeckte hervorragend. Den Aromastoffen schien die Zeit nur gutgetan zu haben. Selbst das Gold glaubte Umann als einen Nebengeschmack, als eine eigentümlich metallische Süße auf Zunge und Gaumen wahrzunehmen. Er kaute ein paar Nüsse, um nicht allzu schnell vollends betrunken zu werden. Er war sich sicher: Keines der mickrigen Geschäftchen, mit denen er sich nach dem Ewigen Winter mehr schlecht als recht über Wasser gehalten hatte, konnte Don Dorokin als erwähnenswert zu Ohren gekommen sein. Nur etwas, das aus dem Rumoren der Guten Alten Zeit herübertönte, taugte dazu, ihn für den allseits Gefürchteten, den allerseits Hochverehrten interessant zu machen. Der Don musste von seiner einstigen Dienststelle erfahren haben.
    Während es dunkelte, stand er noch lange am Fenster und sah die großen Funken entzündeten Rußes gleich winterlichen Glühwürmchen aus den Kaminen in die abendlicheFinsternis fliegen. Auf dem Dach vis-à-vis kletterte mit steifen, übervorsichtig langsamen Bewegungen ein alter Mann herum und versuchte hartnäckig, aber vergeblich, die Blechabdeckung eines Schornsteins zu entfernen. Jetzt hockte er, vielleicht um Kräfte für den anstehenden Abstieg zu sammeln, rauchend im Windschatten einer großen grauen Antennenschüssel und schaute in seine Richtung herüber.
    Umann zündete eine Kerze an und zog die Vorhänge zu. Ein besonderer Vorzug seiner aufgegebenen Wohnung war gewesen, dass das Haus zu einem Straßenzug gehörte, der das Lichtgeschenk des Don erhalten hatte: volle 180   Minuten Strom, zwei durchgehende Stunden nach Einbruch der Dunkelheit und eine weitere im Morgengrauen. Die Wiederaufnahme der Versorgung mit Elektrizität war nur eine der segensreichen Errungenschaften, die man der gut zehnjährigen Herrschaft Don Dorokins verdankte. Das Lichtgeschenk wurde grundsätzlich nur an Straßen verliehen, die eine stabile Selbstverwaltung vorweisen konnten. Der jeweilige Friedensrichter musste in der Dreifaltigkeitskirche vorsprechen und den erreichten Grad an Ordnung und Schlichtungsvermögen während einer gründlichen Befragung glaubhaft machen.
    Die pauschale Lichtabgabe wurde dann halbjährlich für alle angeschlossenen Häuser entrichtet, und der Friedensrichter sorgte mit den Sippenältesten und Bandenhäuptlingen dafür, dass niemand auf die Irrsinnsidee kam, einen Warmwasserboiler oder eine Waschmaschine aus der Guten Alten Zeit mit dem fragilen Energiefluss zu verdrahten. Die Kinder

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