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Die Zukunft des Mars (German Edition)

Die Zukunft des Mars (German Edition)

Titel: Die Zukunft des Mars (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Klein
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Eigentümlichkeiten zwar bemerkt, aber zunächst nicht als bedenklich empfunden wurde. In Umanns kleinem Team arbeiteten zudem, wie es ihr Tun zwangsläufig mit sich brachte, nahezu ausschließlich schräge Vögel, und ein jeder war die Schrullen des anderen gewohnt.
    Ihr Spezialist für Urdu und Farsi, ein nervöser Jüngling pakistanischer Herkunft, dessen senkrecht hochgegelter Schopf ihm, dem hochgewachsenen, selbst noch blutjungen Chef, gerade bis unters Kinn reichte, neigte schon immer dazu, während ihrer Besprechungen aufzuspringen und im Raum auf und ab zu laufen. Winzige Sprünge, irgendwann auch bizarre Hopser, die dieses Hin und Her takteten, waren die ersten Besonderheiten, die Umann als Steigerung seiner chronischen Hypermotorik ins Auge stachen. Dann begann das bislang ausgesprochen höflich gewesene Kerlchen damit, seine Kollegen, selbst ihn, den Teamleiter, mit verblüffender Penetranz mitten im Satz zu unterbrechen. Dazu wurde bald offenbar, dass er nicht mehr im Sitzen zu arbeiten vermochte. Mit weit gespreizten, sichtlich bebenden Beinen stand er vor seinem Doppelmonitor, und die Heftigkeit, mit der er in kurzen Abständen die Stirn gegen dessen Leuchtflächen stieß, ging eigentlich schon über das hinaus, was ein Vorgesetzter als den lässlichen Tick eines hochbegabten Spezialisten tolerieren konnte.
    Allerdings blieb der Kleine das leistungsgierige Arbeitstier, das er in den vorausgegangenen beiden Jahren gewesen war. Wie bisher hörte er die aufgezeichneten Gespräche, die ihnen von den Amis, von den Russen und zunehmend auch von den lange recht knausrig gewesenen Chinesen zur Auswertung überlassen wurden, mit vierfacher Geschwindigkeit ab. Seine Findungsrate in diesem Gezwitscher war unverändert hoch, seine Beurteilung der wesentlichen Stellenüberzeugte weiterhin, ja schien sogar noch an Einfühlungskraft und logischer Stringenz gewonnen zu haben.
    Sie arbeiteten unmäßig viel. Das globale Raunen des Dialogischen Terrorismus hatte damals, im Jahr vor dem Ewigen Winter, einen neuen Grad der Verdichtung erreicht, und plötzlich nahm auch die Zahl der Attentate wieder zu. Der Pakistani war stets der Erste und der Letzte an den Rechnern, und eines Abends, als zu später Stunde nur noch sie beide übrig waren und Umann sich über die Schulter des Kleinen beugte, um sich anzusehen, wie der, zappelnd und zitternd, die Quintessenz eines schier endlosen Dialogs, eine über den halben Globus hinweg zustande gekommene Verabredung zu Zerstörung und Totschlag, in wenige bündige Sätze fasste, begriff Umann an dem Geruch, der dem Hemdkragen seines Mitarbeiters entströmte, dass dieser wohl schon einige Tage nicht mehr zum Duschen und Umkleiden gekommen war.
    Rückblickend rührte Umann die Zähigkeit des Erkrankten. Als sich die letalen Zusammenbrüche häuften, als eine vorsorglich geheim gehaltene Statistik der städtischen Gesundheitsbehörde bereits mehr als zwei Dutzend Tote pro Tag führte, war sein Spezialist, vermutlich einer der Erstinfizierten, noch tüchtig bei der Sache. Da der Kleine allein wohnte, brachte ihn einer aus dem Team abends nach Hause, schließlich sogar ins Bett. Morgens holte man ihn ab, prüfte, ob er geduscht und gefrühstückt hatte, und untertags ging man zweimal mit ihm in den Hof hinunter, wo er, verblüffend lange Abhörpassagen auswendig memorierend, im Kreis herumhopste. Bis zuletzt blieben seine Arbeitsergebnisse untadelig. Und als er dann in einem unbeobachteten Moment hingeschlagen war, als er sich mit den inzwischen auch in den allgemein zugänglichen Medien in ratloser Ausführlichkeit kommentierten, verrückt komischen Zuckungen auf dem Boden vor dem Kaffeeautomaten gewälzt und nacheinem allerletzten langen Beben, einem fast maschinenartig steten Vibrieren und Nicken, für immer stillgehalten hatte, betteten ihn die Männer des Notdienstes, die der Volksmund bereits «die Zappel-Ambulanz» getauft hatte, in einen jener billigen gelben Säcke, deren Verwendung die steigende Frequenz der Abholungen unumgänglich gemacht hatte.
    Den leergeräumten Glastisch wischend, spürte Umann die Versuchung, vor die Tür zu gehen und den Sack draußen im Eck so weit vom Staub der Jahre zu befreien, dass das Gelb der Seuchen-Ära noch einmal aufleuchten durfte. Ihre Dienststelle war auch nach dem dritten Todesfall im Team nicht geschlossen worden. Aber als er sich nach einem der rar gewordenen freien Sonntage zum Wochenbeginn in aller Herrgottsfrühe einen ersten Überblick

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