Die Zukunft des Mars (German Edition)

allerdings neu. Spirthoffer klingelte, die Gegensprechanlage knackste. Er nannte seinen Namen und wurde eingelassen.
    Chang war noch mit einem anderen Kunden beschäftigt. Er half dem Mann, einem krummrückigen Alttürken, ein Bündel Briketts auf eine zweiräderige Zugkarre zu binden, und hielt ihm die Tür auf. Erst als er Spirthoffer dieRechte zum Handschlag entgegenstreckte, bemerkte der das dunkel verfärbte, von den fein gekräuselten blonden Löckchen nur teilweise verdeckte Pflaster auf der Stirn seines Petroleumhändlers.
    «Der Schnee macht die Kinder verrückt!», kam Chang seiner Frage zuvor. Heute Nacht, er habe seit dem Wintereinbruch rund um die Uhr geöffnet, sei er von vier Halbwüchsigen überfallen worden. Er hätte den Bürschchen die acht Kanister Premium, mit denen sie schließlich verschwunden seien, gerne widerstandslos ausgehändigt, aber von einem der Idioten sei ihm gleich nach dem Eintreten des Quartetts etwas Hartes, vermutlich ein Stück Eisenrohr, gegen den Kopf geschlagen worden. Seine Frau habe ihn in einer Blutlache gefunden. Da, vor der Kasse, könne sich Spirthoffer ansehen, wie der Fleck die erst letzten Sommer frisch abgeschliffenen und geölten Dielen verunziere.
    Als Spirthoffer «Wasser & Warm!» verließ, hatte er nur die üblichen zwei Zehnliterkanister Petroleum bestellt. Chang hatte sich nicht über sein leibhaftiges Erscheinen gewundert, auch bei ihm war der Don-Phon-Anschluss fast den ganzen Tag gestört gewesen. Den ursprünglichen Grund seines Kommens, den eigentlich geplanten Lieferauftrag, hatte Spirthoffer dann doch für sich behalten. Changs vietnamesische Frau hatte ihn gerade noch rechtzeitig vor einem törichten Fehler bewahrt. Sie war in den Verkaufsraum gekommen, um ihrem Mann mitzuteilen, einer ihrer Cousins habe die Räuber ausfindig gemacht. Die Kerle versuchten gerade, den gestohlenen Brennstoff auf dem Markt unter der Stadtautobahn zu verhökern. Sie habe schon in der Dreifaltigkeitskirche angerufen. Der Sicherheitsdienst des Don kümmere sich um die Sache. Auch wenn die Patrouille die Beute bestimmt als Bearbeitungsleistung einbehalten werde, den Dieben werde vor Ort die übliche Lektion erteilt, und auch ihren Familien bleibe, sobald man deren Adressenaus den Bürschchen herausgeprügelt habe, ein denkwürdiger Besuch nicht erspart.
    Spirthoffer war neben der wunderschönen, antik mechanischen Kasse Changs gestanden und hatte sich still über den haarsträubenden Fehler gewundert, der ihm da um ein Haar unterlaufen wäre. Der Unterricht und die Mittelchen, die er sich gönnte, um ihn erfolgreich zu bewältigen, hatten ihn fahrlässig werden lassen. Womöglich hatten auch der Wegfall des gewohnten Mittagsnickerchens und der zweimalige Aufstieg auf den Kirchturm ihren Anteil an der gedanklichen Fehlleistung, die beinahe fatale Handlungswirklichkeit geworden wäre. Elussa musste davon ausgehen, dass er bis jetzt nur ihre Don-Phon-Nummer kannte. Chang aber hätte ihr die ukrainischen Eierkohlen in hübschen, staubdichten Hanfsäckchen vor die Wohnungstür geliefert. Vermutlich hätte sich die Empfängerin einen herzlich langen Augenblick über die großzügige Aufmerksamkeit ihres alten Sprachschülers gefreut. Wie töricht von ihm, sich an der Vorstellung ihres durch die Überraschung gewiss noch ein Quäntchen schöneren Gesichts zu weiden! Noch bevor die ersten Kohlen auf die Holzglut gekullert wären, hätte seine kluge Lehrerin darüber nachzusinnen begonnen, wie und warum er wohl ihre Adresse eruiert habe und welche über Russisch und Deutsch, über Kohlen und Ofen, über Feuerschein und Wärme hinausgehenden Absichten er womöglich hege.

Im Advent: Drei
    A ls Umann zugetragen wurde, dass der Don nach ihm suchen ließ, stopfte er seine Siebensachen in den Rucksack und wechselte das Quartier. Mit Sachverstand und Geduld, mit einem Stück Kupferdraht und einem gut geladenen Taschenlampen-Akku knackte er das elektronische Sicherheitsschloss einer Wohnung, deren heile Fenster ihm vor kurzem vom gegenüberliegenden Trottoir aus aufgefallen waren. Die brandversehrten unteren Stockwerke des Gebäudes waren irgendwann von Brennstoff- und Metallsammlern ausgeweidet worden, aber vor den nicht nur wunderschön marmorierten, sondern auch ultraharten Semperlaminat-Türen des ausgebauten Dachgeschosses hatten die Plünderer kapitulieren müssen.
    Sein neues Domizil lag so nah an der Dreifaltigkeitskirche, dass deren Glockendröhnen die Scheiben zum Schwingen