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Die Zunge Europas

Die Zunge Europas

Titel: Die Zunge Europas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Strunk
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Als ich im Krankenhaus war, haben die die Strünke auch nicht rausgeschnitten. Tumor raus, Strünke rein, na vielen Dank!»
    «Wie geht nochmal das Dressing?»
    «Getrocknete Tomaten mit Knoblauch, Oregano, Balsamessig mischen und mit dem Pürierstab verarbeiten. Dann in einem dünnen Strahl Olivenöl dazugießen.»
    Gespräche über das Essen entbehren jeglicher Brisanz, ein konfliktarmes Thema. Andere konfliktarme Themen: Tierschutz, Umweltschutz, Klimaschutz, Wahrung der Menschenrechte, alles, was mit Schutz zu tun hat, matte Dauerbrenner, bestens geeignet, ein ereignisloses Wochenende ereignislos ausklingen zu lassen. Auch gut sind Verlaufsgespräche, in deren
Verlauf
nur Fragen gestattet sind, deren Antwort man schon kennt, die direkte Vorstufe zum Selbstgespräch. Das Selbstgespräch, Gespräch des kleinen Mannes.
    Das süßliche Tomatendressing verbindet sich wunderbar mit dem herb-aromatischen Geschmack der Rauke.
    «Hast du eigentlich auf dem Plan, dass Opa Mittwoch Geburtstag hat?»
    «Ja, hab ich mir eingetragen.»
    Sie trug immer alles gleich in einen riesigen Timer ein.
    «Guten Appetit.»
    «Danke gleichfalls.»
    Nachdem wir mit dem Essen fertig waren, räumte Sonja unaufgefordert den Tisch ab und kam ebenso unaufgefordert mit zwei Gläschen Mirabellenbrand zurück. Herrlich. Es war kurz nach zweiundzwanzig Uhr, im TV Zeit für Infotainment. Ich war nach dem Wein und dem Essen und dem Schnaps und dem anstrengenden Tag müde und hoffte, dass Sonja bald von alleine vorgehen würde. Dann würde ich noch ein Weilchen rumsitzen können und Löcher andie Wand glotzen/​starren oder an die Decke starren/​glotzen oder am Text mit den langsamen Essern arbeiten oder Musikhören. Irgendwann würde ich nachkommen, mucksmäuschenstill. Sonja:
    «Wollen wir mal ins Bett?»
    «Ja, gleich, nur noch einen Augenblick.»
    «Ich geh schon mal Zähne putzen. Aber nicht wieder auf dem Sofa einschlafen!»
    «Nee, nee.»
    «Ich hol dich gleich.»
    Wie das klang! Manchmal vergaß sie mich auch. Ich wartete wie das Kaninchen vor der Schlange. Bitte, lass mich sitzen! Zu früh gefreut, sie kam, mich zu holen.
    «So. Kommst du?»
    «Ja.»
    Ich schlafe sehr gern auf dem Sofa ein. Viel schöner als im Bett, im Bett schlafen ist spießig, haha. Sonja half mir beim Aufstehen. Meine Güte. Ist sie zu stark, bist du zu schwach. Mir war schwummerig. Nachdem sie mich ins Schlafzimmer
bugsiert
hatte, zog ich mich mit kraftlosen Bewegungen aus, schlüpfte in meinen Schlafanzug (ich bin Schlafanzugträger, auch bei Hitze), kroch sofort auf meine Seite und verhielt mich mucksmäuschenstill. Ihr Atem ging schon bald in regelmäßiges, leises Schnarchen über. Trotzdem noch zu früh für endgültige Entwarnung. Ein paar Minuten bewegte ich mich nicht vom Fleck, umdrehen kann ich mich auch, wenn ich tot bin. Das mache ich nicht ohne Grund so, denn manchmal, wenngleich sehr selten, gehen Attacken von ihr aus. Ihre Hand verschwindet unter der Decke, und sie versucht
was
, und ichbin gezwungen, mich auf Worte wie «Idiosynkrasie» zu konzentrieren. Nach ein, zwei Minuten ist wieder Ruhe im Karton. Komisch, ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass sie auch nur einen Hauch scharf auf mich ist. Was wohl in ihr vorgeht? An wen mag sie denken? Brad Pitt? George Clooney? Gar Sascha Hehn? Egal, jetzt war Ruhe. Bald Mitternacht. Schlafenszeit.
     
    Meine Güte, dabei war es doch auch bei uns einmal ganz anders gewesen! Die verschlossenen Herzen wie Tannenzapfen, offen und voller nackter Samen, so viel Helles und Gutes hatten wir einander getan. Es kam für mich am Anfang einem unbegreiflichen Wunder gleich, dass sie sich für mich entschieden hatte und nicht für einen der geilen Typen, die sie damals hätte haben können. Sonja (die alten Fotoalben, die ich aus den üblichen sentimentalen Gründen in der Vorweihnachtszeit rauskrame, beweisen es) sah mindestens eineinhalb Stufen geiler aus als ich. Ach was, zwei Stufen, vielleicht sogar zweieinhalb! Immer diese Stufen! Köstlich!
    Unsere Beziehung hatte tastend begonnen, es hatte geschlagene drei Monate gedauert, bis wir einen klassischen gemütlichen Abend bei mir zu Hause verbracht hatten. Jetzt nur keinen Fehler machen! Ich hatte mich unglaublich zusammenreißen müssen, damit mir nicht die drei Worte aus dem Mund pullerten, die, zu früh ausgesprochen, möglicherweise alles zerstört hätten. Sie hat meinem sanften Liebesdruck nicht widerstehen können, und wenig später waren wir

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