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Die Zunge Europas

Die Zunge Europas

Titel: Die Zunge Europas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Strunk
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Eierwecker auf sechzig Minuten, das macht Dan Brown angeblich auch so, wegen Rücken. Um eine Kladde vollzumachen, brauche ich ca. ein halbes Jahr. Ein Drittel ist Schrott, ein weiteres Drittel Halbschrott, und im Restdrittel tummelt sich die eine oder andere gute Idee. Faustregel: Quantität schafft Qualität. Zäh hält sich bei den Spießern die Meinung, Ideen schwirrten in der Luft herum und fielen den Kreativen quasi an, es genüge, den Kopf aus dem Fenster zu stecken und so lange zu warten, bis der Geistesblitz einschlägt. Das ist natürlich vollkommener Quatsch. Amateure warten auf Inspiration, Profis setzen sich hin und arbeiten (wahnsinnig arrogante Formulierung, stammt zum Glück nicht von mir). Ganz wichtig: erst mal alles aufschreiben. Einzelne Worte, Halbsätze, Unzusammenhängendes, diffuse Bilder, man darf keine Scheu davor haben, das innere Gestammel zuzulassen, vielleicht fügen sich die im Äther herumschwirrenden Kackateilchen irgendwann zu einem Großen, Schönen, Ganzen.
    Zielgerichtet denken, zielgerichtet fühlen, zielgerichtet fernsehen, zielgerichtet lesen, Hauptsache zielgerichtet, man kann überall fündig werden. Beispiel Kontaktanzeige: «Wie du sein solltest? Ein Teil Mutter Teresa, ein Teil Sharon Stone und ganz viel du». Seit Ewigkeiten warte ich auf eine Gelegenheit, diesen entsetzlichen Satz zu verwursten. Anderes Beispiel, auch Anzeige (Doppelseite «Treffpunkte» in der «Hamburger Morgenpost»): «Nur heute. Polin mit Hut». Und Telefonnummer. Wortwörtlich:«Polin mit Hut». Was das wohl bedeutet? Das mit dem Hut ist hundertprozentig ein versteckter Hinweis für Kenner.
    «Vor der Hacke ist es duster.» Bergarbeiterspruch. Ein Kumpel, der mit pechschwarzem Gesicht einen Stollen in den Berg treibt und wegen der undurchdringlichen Dunkelheit praktisch blind draufloshackt. Für Sprüche, Schnacks und Redensarten habe ich ein besonderes Faible:
    «Ladys first – James Last.»
    «Die Ehe ist ein Vogelhaus, wer drin ist, der will wieder raus.»
    «Ich hab beim Golf nur ein Handicap – mein Gesicht.»
    «Lieber ein offenes Ohr als offene Beine.»
    «Ich mag Tiere sehr gerne – am liebsten mit einer leckeren Soße.»
    Diese Premiumschnacks stammen alle von meinem bald achtzigjährigen Onkel Friedrich. Onkel Friedrich ist ein Spitzentyp und hat außerdem den besten Spitznamen der Welt:
die Zunge Europas
. Sein gesamtes Berufsleben hat er im Kaffeegeschäft verbracht: Kaffeekaufmann, Kaffeehändler, Kaffeeverkoster, Kaffeeexperte, Kaffeemann, Kaffeeguru, Kaffeegenie: Personalunion Onkel Friedrich. Abgesehen davon, dass er ein nachgerade unglaubliches Repertoire an jederzeit abrufbaren Anekdoten, Geschichten und Döntjes angehäuft hat, ist er im Besitz von Kaffeeherrschaftswissen, das nirgendwo nachgelesen werden kann. Wenn er mal nicht mehr ist, geht dieses Wissen verloren. Onkel Friedrich befindet sich schon seit langem im Ruhestand. Im Hamburger Freihafen ist er eine Legende,ein Mythos, eine sagenumwobene Lichtgestalt, eine Fata Morgana (hab ich das Wort auch noch untergebracht! Es geht beim Bücherschreiben ja vor allem darum, so viel verschiedene Wörter wie möglich unterzubringen). Es gibt ja so Weinspezialisten, die Herkunft, Jahrgang und Lage zuverlässig herausschmecken; Onkel Friedrich ist kaffeetechnisch mit vergleichbarem Talent gesegnet. Die Grundsorten (Arabica, Robusta usw.), Herkunftsländer (Nicaragua, Kuba, Ecuador, Costa Rica), wie hoch welcher wovon warum Anteil ist, welche Lage, welche Röstung, ach, ich weiß es doch auch alles nicht. Auf jeden Fall arbeiten seine Geschmacksknospen mit einer unerreichten Präzision:
die Zunge Europas
eben! Ein Name wie ein Ritterschlag. Ich müsste ihn mal besuchen und alles aufschreiben. Zeit hat er schließlich genug, und ich sowieso. So ein Quatsch, wen soll denn das interessieren?
Mich!
Allein darum geht es! Es geht immer nur genau darum! Wenn ich nur nicht immer so mutlos und zerschlagen wäre, ich würde mich mit einem Diktiergerät bewaffnet wochenlang bei ihm einquartieren und ihn erzählen lassen. Und dann das Buch schreiben. Ich bin mir sicher, dass es ein gutes Buch würde. Der Titel ist doch schon mal unschlagbar: «Die Zunge Europas»! Überlegenes Material.
    Onkel Friedrichs zweite Leidenschaft sind, wie gesagt, Sprüche. Sprüche, Schnacks, Witze. Überwiegend olles Zeug, trotzdem Spitze:
    «Ich koche gern – aber nicht vor Wut.»
    «Nachdurst ist schlimmer als Heimweh.»
    «Die Steinzeit ging auch nicht zu Ende,

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