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Die Zunge Europas

Die Zunge Europas

Titel: Die Zunge Europas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Strunk
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Soloprogramm eines Standuppers von hundert Leuten im Publikum neunundneunzig lachen und ein Einziger von der ersten bis zur letzten Minute kerzengerade und mit versteinertem Gesicht in der hintersten Reihe hockt, ist das ein Comedian, der seinen Konkurrenten ausspioniert.
    Die durchs Fernsehen populär gewordenen Großverdiener absolvieren zweihundert und mehr Auftritte im Jahr. Da kommt einiges zusammen. Aber sie sind die Löwen in der Comedyfauna. Ganz unten in der Hierarchie stehen die Uhus (unter hundert), deren Auftritte von weniger alseinhundert
Zahlenden
(ohne Gästeliste) besucht werden. Manchmal sind es auch nur fünfzig. Oder siebzehn, von denen fünf noch während des Auftritts gehen. Wenn diese Rotärsche unter den Comedians nicht ganz schnell die Hundertergrenze reißen, sind sie gleich wieder weg vom Fenster. Solide hundert Zuschauer sind so was wie die Fünfhundert-Euro-Frage bei «Wer wird Millionär». Uhus (der Begriff stammt übrigens von mir) hassen die Kollegen, die diese Grenze gerissen haben und sich über hundert, hundertzwanzig oder in ihrer Heimatstadt auch mal über zweihundertzehn Zahlende freuen dürfen. Hass, aber auch großes, ehrliches Unverständnis: «Was soll denn daran lustig sein. Wo ist der denn bitte schön besser als ich. Die Leute sind aber auch beknackt!» Die Spirale des Hasses setzt sich nach oben fort: Die Hunderter hassen die Zwei- oder Dreihunderter. Und die hassen die Fünfhunderter und die die Tausender, und die Tausender die Zwei- bis Viertausender, und ganz oben, auf dem Thron der Köln-Arena, sitzt der
Eine
und lacht alle anderen aus.
    Für den Typ des ernsthaften, schwerblütigen Humoristen, für den Komik existenzielle Notwendigkeit bedeutet, eine Möglichkeit, dem Schmerz und den Widrigkeiten des Daseins zu begegnen, gibt es keine Verwendung mehr. Er ist untergegangen im bedeutungslosen Gebrabbel, Gebrunze, Gebölke, Gekreische und Gepöbel, dem endgültigen Sieg der Lautheit:
    «Da kabarettiche sich, wer kann, denn die Wirkung der Nummern ist nachhaltiger als langfristige Rentenbescheide. Damit beim schrillen Start ins Wochenende auch die Ablachgarantie gilt, nehmen Sie am besten Ihren inneren Schweinehund an die Leine.
Aber: Vorsicht an der Wortschwallkante! Schaffnerin dieser herzerfrischend fiesen Erste-Klasse-Comedy allererster Schlagsahne ist eine Powerkabarettistin und bekennende Kaltduscherin, die neben Festigung des Geistes und des Bindegewebes auch die Behandlung des Störfaktors Mann und seine artgerechte Haltung verspricht und ihm endlich den Giftzahn der Zeit zieht. Hier darf gelacht werden, bis alles in Jackpot und Asche liegt, bis zur widerspenstigen Lähmung; vertrauensstörende Maßnahmen, bis die Arschkarten neu gemischt sind. Das Jagdverhalten afrikanischer Löwinnen wird den Shopping-Ritualen gelangweilter Hausfrauen gegenübergestellt, und die brennende Frage beantwortet, warum frei laufende Hühner immer dekadenter werden beziehungsweise ob es ein Leben über 40 gibt. Auf dem Highway to Hell gibt es keine Zebrastreifen. Das Flammenschwert der Comedy saust gnadenlos frech auf unser Zwerchfell nieder, nimmt den wahntäglichen Normalsinn auf die Schippe, denn die Milch aufschäumen überlassen wir getrost den anderen. Zugführer bei dieser Molkerei auf der Bounty: der wahrscheinlich multikultigste aller Comedians, der unzensiert seine schwierigste Rolle spielt: nämlich sich selbst! Ob er dabei ins Klo oder nach den Sternen greift, seine multiplen Sarkasmen hinterlassen jedes Mal eine Spur der Entzückung. Aber Vorsicht: Wenn seine Frühlingsrolle erst in den Datenstau gerät, würde er für eine gute Pointe sogar seine Großmutter verkaufen. Zusteigen in diese Pointenvollzugsanstalt ohne Abstellgleis wird auch Angela Merkel, unsere Plattitüdenmamsell und Barbie reloaded, die den Staat am liebsten outsourced und dabei unversehens zum eigenen Outlet wird. Ach übrigens: Wird das Jüngste Gericht in Amerika überhaupt anerkannt?
    (Alles Originalzitate)
    Erbrochenes. Spastiker des Witzes, die mit blutig gebissener Zunge die immer gleiche Fertigteilsprache ausspeien,Zombies, deren kaputtes, krankes, ausgezehrtes Vokabular zusammen mit den ausgeschlagenen Zähnen kraftlos aus dem Maul sappscht. Das ist so ungefähr meine Meinung zum eigenen Berufsstand. Ein Therapeut würde mir mit ziemlicher Sicherheit empfehlen, den Job zu wechseln.
    Eine Art von Gerechtigkeit gibt es allerdings, die Strafe für all die Schandtaten sitzt den Verbrechern

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