Die Zunge Europas
Bescheidenheit. Mehrsprachiger Gebärdendolmetscher. Privatsheriff. Ramschkönig. Crackrentner. Sitzriese. Produktpirat. Turnfloh. Politclown.
Das Naturbad Stadtparksee ist von gigantischen, Einblick verwehrenden Hecken umgeben: Nichts sehen, alles hören, nichts kann, alles muss: Lachen, Planschen, Kindergeschrei, ein schief und krumm vor sich hin plärrendes Kofferradio. Keine besonderen Vorkommnisse. Scheinbar. Oder doch? Verbarg sich hinter der vermeintlich harmlosen Kulisse etwa anderes, war das vermeintlich harmlose Spaßbad eine wässrige Psychodusche, eine nasse Hölle, ein todbringender Trip aus Chlor?
Was sich im Bermudadreieck Nichtschwimmerbecken, Umkleidekabinen und Billigkiosk abspielt, ist unvorstellbar: Adipöse Fastfoodjunkies lassen sich per Arschbombe vom Fünfmeterturm fallen, versinken krachend in den mit Keimen verseuchten Fluten und bleiben leblos auf dem Beckengrund liegen. Über den klaustrophobisch engen Umkleidekäfigen hängt eine Glocke aus halb ersticktem Stöhnen, leisen Schreien und geschnorchelten Zischlauten: Rumänische Kinderbanden foltern hilflose Pensionäre, um deren PI N-Nummern zu erpressen. Langzeitarbeitslose, die den Eintritt nicht bezahlen können, krallen sich mit bloßen Händen am Stacheldrahtzaun fest. Bademeister, Tauchlehrer und Rettungsschwimmer sind das unumstrittene Herrscher-Triumvirat über das feuchte Lager, das sie mit Menschenverachtung und Trillerpfeife führen. Verknotete Teenyleiber schmoren derweil wie zuckende Aale dichtgedrängt auf der verkohlten Wiese. Die Jungen liegen auf dem Bauch, weil sie sich für ihre schmerzhaft pulsierende Rute schämen, schließlich halten sie es nicht mehr aus und fallen, vor Hitze und Nacktheit vollkommen verrückt, mit hölzernen Bewegungen übereinander her. Durch das stundenlange Liegen in der prallen Sonne haben sie schwere Rückenverbrennungen erlitten. Die Haut wirft Blasen, groß wie Joghurtbecher. Sie suchen Erlösung im großen Becken, wo sie jedoch sofort
von alten, welken Fleischbergen in die Schraubzwinge verwitterter Oberschenkel genommen werden, denn Rentner im Freibad sind in erster Linie eines: gierige Molche auf der Suche nach dem nächsten Kick usw.
Erstaunlich, auf was man beim Sport alles kommt. Ich nahm mir vor, beim nächsten Mal ein Diktiergerät mitzunehmen. Noch hundert Meter bis zur Fußgängerampel Ohlsdorfer Straße, ich war praktisch am Ziel. Fünf Kilometer in einem Durchmarsch. Sagenhaft, von null auf hundert, Sportskanone. Auf der anderen Straßenseite wartete eine Fußstreife auf das Ende der Rotphase. Wen man nicht so alles trifft. Mir sollte es recht sein, ich hatte mich immer gut mit den Bullen verstanden. Ihr mutmaßlicher Auftrag: Hundehalter verhaften, die sich nicht an den Leinenzwang halten. Schnellgericht, Enteignung und/oder 5000 Euro Geldstrafe oder ein halbes Jahr Santa Fu.
A dream come true
. Träume sind Schäume. Leider. Leiderleider. In der aktuellen, halbwegs menschenwürdigen Designlinie sehen die Bullen eindeutig besser aus als in der plumpsackartigen Dienstkleidung früherer Jahre. Auffällig: Die Exekutive (Polizisten, Soldaten, Zollfahnder) ist mit eng geschnittenen, sexy Knackuniformen ausgestattet, die Judikative mit weit geschnittenen Kutten, Roben, Mönchskostümen und sonstiger Hiphopwallawallakleidung. Je höher die Position, desto schlabbriger der Schlabberlook. Ganz oben steht der Papst.
Die Ampel sprang auf Grün. Beim Vorübergehen warf mir einer der beiden Polizisten einen freundlichen Gruß zu. Ich grüßte freundlich zurück.
Der stimmungsaufhellenden Wirkung des Dauerlaufes vermochte auch die Post von den Hamburger Wasserwerken nichts anzuhaben. Schon wieder Zählerablesungen, meine Güte, hatte ich das nicht gerade erst letzte Woche machen müssen? Da stimmte doch etwas nicht. Fast täglich musste ein Zähler abgelesen werden: Ökostrom, konventioneller Strom, Starkstrom, Schwachstrom, Kriechstrom, kaltes Wasser, heißes Wasser, lauwarmes Wasser, Erdgas, Russengas, verbilligtes Gas, Heizöl, Schmieröl, freies Öl vom Rotterdamer Spotmarkt undundundoderoderoder. Wahrscheinlich würde für jeden Zähler bald noch ein Kontrollzähler installiert werden, der die ordnungsgemäße Funktion des Hauptzählers überwacht. Die ganze Wohnung ist erfüllt von einem leisen Schnarren, Puckern und Klickern. Noch bis auf die dreißigste Stelle hinter dem Komma wird der Verbrauch gemessen. Ich beschwere mich. Daraufhin behördliche Verfügung: Schlaf- und
Weitere Kostenlose Bücher