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Die Zunge Europas

Die Zunge Europas

Titel: Die Zunge Europas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Strunk
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Staub zerfällt und es
eigentlich
auf gar nichts ankommt. Höhere Menschwerdung in der Horizontalen. Wenn man den ganzen Tag pennt, benötigt man auch keine Stimulanzien (Kaffee, Zigaretten, aufregendes Fernsehprogramm). Ich hielt die Augen geschlossen und wartete. Die einen brüten Nachwuchs aus, die anderen Ideen. Nachwuchs will gestillt werden, Ideen muss man anreichern. Wenn Einfälle 1 das Licht der Welt erblicken, sind sie mickrig und schwach wie Frühchen. Steißgeburt, Sturzgeburt, Kaiserschnitt.
    Leider verbanden sich die Spin-Schäume mit den Stringsnicht auf die gewünschte Weise, sondern im Sinne einer Schwarzkörperstrahlung bzw. Rotverschiebung zu einem sexuellen Hintergrundrauschen, das wieder einmal der Freundin der Nachbarstocher galt. Außerdem: erotische Fragmente, gierige Bruchstücke, angesaute Miniaturen: Hier ein ausgeleierter Mund, dort ein gebrochenes Bein, hier ein dicker Po, dort ein blutig gepiercter Speckbauch. (Bevor sie ganz im Fett verschwunden sind, muss man Piercings entgegen dem Uhrzeigersinn rausdrehen wie einen Zeck.) Spin-Träume sind Schäume: mit der Buckligen im Fahrradkeller. Die Bucklige schnallt sich auf den Buckel einen Umschnallbuckel. Und darüber einen Überhangbuckel. Und darüber noch einen Katzenbuckel. Bizarre Spielchen. Sonja und ich hatten auch mal eine kurze
Spielchenphase
gehabt. Unvorstellbar. Der schlechteste Sextipp aller Zeiten ist, einem lustlosen Paar zu empfehlen, sein Sexleben mit Hilfe von «Hilfsmitteln» . (mit Hilfe von Hilfsmitteln, genau) aufzumöbeln. Ehehygiene. Eine Frau in Strapsen und ein Mann mit Fetischmaske sitzen auf dem Sofa, zwischen ihnen eine aufblasbare Puppe, auf dem Beistelltisch Handschellen, Gleitcreme und Fisselkram. Und nun?
    Wir hatten auch mal Fesselspielchen ausprobiert, es jedoch bei einem Versuch bewenden lassen. Zu ungeschickt. Zu ungeil. Dildos, Pornos, glühende Zangen, Henkersmasken, Streckbett, tausend Stecknadeln, Liebeskugeln, wo war der Kram eigentlich abgeblieben? So was schmeißt man doch nicht weg, sondern lagert es ein. Für bessere Zeiten. Die Sachen moderten bestimmt in einem Umzugskarton im Keller vor sich hin. Scheiß auf den Halbschlaf, das interessierte mich nun doch.
    Schneller als erwartet wurde ich fündig. Unter einer dicken Schicht Altkleider lagerte eine Plastiktüte mit einem nicht mehr aktuellen Karstadt-Logo. Das musste es sein. Ohne groß hineinzugucken, schlich ich mit dem Sausack nach oben und schüttete alles auf dem Wohnzimmerboden aus. Neben diversen Schweinereien fand sich auch eine VH S-Kassette , auf deren fast abgelöster Banderole ich meine Handschrift identifizierte:
RA F-Doku . Teil eins.
Hä? Wie hatte sich so etwas in meine erotische Schatztruhe verirrt, da stimmte doch was nicht! RA F-Doku Teil eins. Überleg, Grübel, Gedankenwälz. Gibt’s doch nicht! Es konnte sich nur um die Kassette mit
den Aufnahmen
handeln. Einsamer Höhepunkt unserer sexuellen Laufbahn, die Mitschnitte erotischer Sessions. Nachdem unzählige Stunden Rohmaterial zusammengebumst waren, hatte ich die schönsten Stellen auf Videokassetten zusammengefrickelt und zur Tarnung mit irreführenden Beschriftungen versehen. Nach meinem Ableben käme sicher niemand auf die Idee, dass auf halb zerfallenen VH S-Schwarzbroten mit den Etiketten
Forsthaus 21   –   25, Das Boot/​Director’s Cut
oder Mehrteilern übers Dritte Reich etwas ganz anderes zu sehen sein könnte. Das musste ich mir anschauen. Unverzüglich. Ich zog die Vorhänge zu und drückte die Playtaste.
    Die Kamera ist aufs Sofa gerichtet, in dessen rechter Ecke Sonja in Latex-Kellnerinnentracht mit Schürze und Häubchen herumflegelt und, ihrer Körpersprache nach zu urteilen, sich auf das freut, was gleich kommt. Unvermittelt schiebt sich ein kalkweißer nackter Po ins Bild, gefolgt von Oberkörper und Armen.
Der Mann
packt Sonja grob an den Armen und positioniert sie mittiger. Dann verschwindet er wieder. Irgendwas scheint Sonja zu stören, sie gestikuliert und sagt aufgebracht: «Dro   … Mac   … d   … hint   … weg   … nee.» Total abgehackt, kein Wort zu verstehen, die Tonspur hat offenbar unter der unfachgemäßen Lagerung gelitten. Erneut versperrt der Po die Sicht. Regieanweisung vom Mann: «Wert   … unrg   … nene!   … alat.» Dann setzt sich der Mann neben Sonja. Eigentlich sieht sie gar nicht so schlecht aus in dem Kostüm, jedenfalls besser als der Mann. Plötzlich ein Scheppern, begleitet von lautem Fluchen, dann ist

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