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Die Zunge Europas

Die Zunge Europas

Titel: Die Zunge Europas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Strunk
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nichts mitbekommen dürfen, das wäre extrem peinlich gewesen, weil ich ohne jede Chance war. Glaubte man den Gerüchten, so ließ sie sich nach Schulschluss regelmäßig von älteren Mofarockern
durchnehmen
. So hieß das damals. Ausgreifen, abgrapschen, durchnehmen, durchfummeln. Fummeln war auch Fußballspreche, der kann echt gut fummeln, hihi, geile Doppelbedeutung, anderes Wort für Dribbeln, na ja, weiß ja eh jedes Kind. Sabine kam aus gutem Haus (Eltern Oberstudienräte) und galt als langweilige Streberin, die nur Einser und Zweier schrieb und zweimal die Woche zum Klavierunterricht latschte. Mit ihrem lustigen blonden Pferdeschwanz und den rehbraunen Augen sah sie aus, als könne sie kein Wässerchen trüben, weshalb die Vorstellung, dass sie sich von mit Getriebeöl und Ficksahne (wahnsinnig hartes Wort) verschmierten Händen ungeduschter Saufprolls hinter der Turnhalle durchnehmen und durchwalken und durchfummeln ließ, doppelt bis dreimal so scharf war: Grobschlächtige Nachwuchskriminelle reißen ihr das mit Blumenmotiven bestickte Sommerkleidchen vom zierlichen Körperchen. Der lustige blonde Pferdeschwanz wird nach hinten gezogen, bis die Nackenwirbel knacken, und a Watschn gibt’s als Zugabe umsonst. Jaja! Ich malte mir die wildesten Sachen aus. Meine Phantasien schwankten zwischen der Brunauschen und Hobbynutte Sabine Freudenthal hin und her, aber da die Kornfeld-Episode schon so langezurücklag und immer mehr verblasste, gewann Sabinchen langsam die Oberhand. Der
reale
Kontakt zwischen uns beschränkte sich, wenn überhaupt, auf ein knappes «Hallo» – «Hallo. Ja, also tschüs dann.» Obwohl man chancenloser nicht sein konnte, hatte ich die Hoffnung nie ganz aufgegeben. Vielleicht würde sie ja eines Morgens aufwachen und ihr würde schlecht bei dem Gedanken an die ekligen Mofarocker und die ölverschmierten Schweinigeleien hinter der Turnhalle. Sie würde alles ihren Eltern erzählen, und die würden dafür sorgen, dass die rücksichtslosen Bumsböcke dahin kommen, wo sie hingehören: in die JVA Hahnöfersand, die noch sicherer ist als Alcatraz und von der noch nie ein jugendlicher Mofarocker lebend zurückgekehrt ist. Und warum würde sie das alles machen? Doppelpunkt: weil ihr plötzlich und mit einem Mal klar geworden ist, dass sie schon ganz lange und ausschließlich in mich verliebt ist.
     
    Diese sehr schwache Hoffnung wurde am Spätnachmittag meines vierzehnten Geburtstages endgültig zu Grabe getragen. Ich «feierte» zu Hause, natürlich nicht abends, sondern nachmittags. Eingeladen waren Volker Schmidthals, Frank Dengler, Heiko Wandtke und Petra Joch. Und Sabine Freudenthal. Das war von mir sehr geschickt, um nicht zu sagen genial eingefädelt worden, denn da ich mich nie getraut hätte, das Mofaliebchen persönlich einzuladen (ich kannte sie ja kaum), hatte ich den Umweg über die picklige und käsige Petra Joch gewählt, die aus unerklärlichen Gründen Sabines beste Freundin war (Vergleich nach unten, psychologischer Kniff ). Mehr Ladenhüter als Petra Joch ging nicht, und obwohl eine Einladung zu meinemGeburtstag keineswegs als Eintrittskarte zu
irgendetwas
galt, hatte sie zugesagt. Bedingung: Ihre beste Freundin müsse auch mitkommen.
    Juhu, mein Plan war aufgegangen! Nun saß die Angebetete zum Greifen nahe auf meiner Jugendzimmercouch und langweilte sich wie alle anderen zu Tode, denn außer gelber Brause, Würmern (weiß ich doch nicht mehr, was es damals zu fressen gab, Würmer klingt ja wohl tausendmal lustiger als Chips) und Süßigkeiten hatte ich nicht viel zu bieten. Zu reden gab es irgendwie auch nichts, und die allerletzte Luft aus dem ungeselligen Beisammensein ließ routiniert meine Großmutter, indem sie, ohne zu klopfen und unter fadenscheinigsten Begründungen, alle halbe Stunde ins Zimmer kam, um zu kontrollieren, ob auch ja keiner rauchte oder gar Alkohol trank. Die Zeit bis halb sieben wollte einfach nicht vergehen. Bis dahin musste durchgehalten werden, ein ungeschriebenes Gesetz, das selbst für mein Sit-in galt. Um halb sieben gab es Abendbrot, bei uns und bei allen anderen auch. Ich bekam mit, wie Sabine unter dem Tisch dauernd die doofe Petra anstieß, damit die sich endlich eine Lüge ausdachte (Mathearbeit/​Bruder krank). Aber Petra dachte nicht daran, sie hatte wohl immer noch nicht die Hoffnung aufgegeben, dass mit einem der Jungs eventuell noch was laufen könnte. Dauernd entstanden quälend lange Gesprächslöcher, als wäre mein Scheißzimmer

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