Die Zunge Europas
recht, aber das war egal. Ich hatte keine Lust mehr, mich von unerreichbaren Oberkörpern demütigen zu lassen, und es bereitete mir nicht mal mehr ein dumpfes Vergnügen, mir vorzustellen, wie in zehn Jahren nichts von ihm übrig war, und es war mir auch zu anstrengend, ihm und seinesgleichen die Pest an den Hals zu wünschen oder irgendwas anderes, was sie von ihrem hohen Drecksross runterholte. Ich trank einen Schluck Bier und horchte in meinen Körper hinein. Wenn man sich ganz doll konzentriert, kann man hören, wie die roten Blutkörperchen unermüdlich in einem rauschen. Was wäre der Mensch ohne rote Blutkörperchen. Sport ist wie eine Operation ohne Messer.
Zwei junge Frauen gesellten sich zu der Truppe, natürlich genauso jung und cool und geil. Sie steuerten Baguette und zwei Packungen Würstchen und eine Schüssel mit irgendeinem Salat und eine andere Schüssel mit Mousse au Chocolat zum Grillabend bei, eine Auswahl der schlimmsten Figurkiller aller Zeiten, aber die konnten ja essen, was sie wollten, ihr überdrehter Stoffwechsel wurde mit jeder verdammten Extrakalorie fertig. Die eine zog ihr Bikinioberteil aus. Barbusig hockte sie im Schneidersitz und drehte sich eine Zigarette, was auch schon wieder geil aussah (nicht die Titten, die sowieso,
TOTAL PACKAGE
, Digga).Die dreht die Zigaretten nicht, weil sie kein Geld hat, sondern weil’s einfach geiler aussieht. Mir fiel der Lieblingstrinkspruch von Onkel Friedrich ein: «Benedictum, Benedactum, in Afrika laufen die Frauen nackt rum. Bei uns tragen sie Kleider. Leider!» Ich hatte hier nichts mehr verloren. Als ich aufstand, schaute mich die Barbusige an und lächelte. Zu meiner
wirklichen
Überraschung. Für einen Moment wünschte ich mir nichts sehnlicher, als dass sie mich auf eine Wurst einladen würde. Mein Entree in die Runde wären geistreiche, witzige Bonmots, und wenn der Abend dann irgendwann ausklänge, wünschten sich alle, sie wären so wie ich, haha.
Nächsten Sonntag musste ich alles von der Großmutter erfahren! Das war ganz wichtig, ich durfte unter keinen Umständen vergessen, sie danach zu fragen. Vielleicht wartete sie schon seit Jahren darauf, mir endlich
alles
zu erzählen. Wieder zu Hause, fühlte ich mich beschwingt und gleichzeitig sehr traurig, eine seltsame Mischung, ein süßer Schmerz. Immer wenn ich in diese Stimmung gerate, schaue ich mir alte Filme an. Nicht
Casablanca
oder
Sissi
oder
Der dritte Mann, meine
Lieblingsfilme sind karge Sozialdramen aus den Siebzigern und Achtzigern. Grobkörnige Bilder, triste Satellitenstädte, graugesichtige Menschen, schwere Schicksale, lange Einstellungen, hervorragende Schauspieler. Und vor allem kein nervtötendes Gedudel (Filmmusik) unter jeder gottverdammten Szene. Manche Filme kommen tatsächlich ohne einen einzigen Ton aus. Ich entschied mich für einen Siebzigerjahre-Tatort mit dem Kieler Kommissar Klaus Schwarzkopf. Regie: WolfgangPetersen. Was hat Wolfgang Petersen damals nur für Spitzenfilme gemacht. Es hätte ein bedeutender Regisseur aus ihm werden können. Klaus Schwarzkopf war nicht nur ein hervorragender Schauspieler, sondern auch der erste Synchronsprecher von Inspector Columbo gewesen, nach seinem Tod trat jemand mit einer markigen Werbestimme seine Nachfolge an. Welcher Fernsehhitler ist nur auf die verfickte Nazi-Idee gekommen, den verschmitzten Inspector Columbo von einer Warsteiner-Sau synchronisieren zu lassen? Das war’s dann für mich mit Inspector Columbo, schade eigentlich. Günter Lamprecht, einer meiner All-Time-Lieblingsschauspieler, spielte in dem Tatort einen Polizisten, der auf die schiefe Bahn gerät. In den Siebzigern war Günter Lamprecht auf der Höhe seiner Schauspielkunst
und
seiner physischen Kraft. Ich schaute mir gleich noch zwei weitere Filme mit ihm an:
Flüchtige Bekanntschaften
und
Rückfälle
. Einer ging noch:
Die Freiheiten der Langeweile
, auch ein toller Film, allerdings ohne Lamprecht. Ungefähr bei der Hälfte schief ich ein.
DONNERSTAG
Gespenster aus der Vergangenheit
Wie angenehm müsste es sein, ein Leben im Halbschlaf zu verbringen. Einnicken, dämmern, kurz wieder aufwachen, erneut einnicken und nie richtig wach werden. Ein Tag ist wie der andere, aristokratischer Müßiggang, ein schläfriges Dasein, das unaufgeregt verstreicht, kein spezielles Ziel kennt oder fortwährend kleinkrämerisch irgendwelche «Bilanzen» zieht, nach denen zum Schluss eh kein Hahn kräht.
Die beruhigende Gewissheit, dass manirgendwann zu
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