Die Zusammenkunft
darin.
So behutsam, als könne eine zu heftige Bewegung ihn beschädigen, stellte Morgan McDermott den Stuhl an den alten Platz zurück.
Dann verließ er das Schlafzimmer.
Als sei nichts geschehen. Und als gebe es nichts, was er fürchten müßte. Denn Angst kannte er nicht mehr.
*
Bazon Thorne fluchte und biß sich noch im selben Atemzug so heftig auf die Lippen, als könne er die unflätige Bemerkung damit noch ersticken.
Das Licht war aber auch geradezu beleidigend schlecht!
»Andererseits«, sagte Bazon Thorne im Selbstgespräch und lächelte, »ist es eine Herausforderung für den wahren Künstler, auch unter schlechtesten Bedingungen das Beste zu erschaffen.«
Dabei flog seine rechte Hand leicht wie eine Feder über das Papier, und das Kohlestück zwischen seinen Fingern hinterließ Striche und Schatten darauf, die sich nach und nach zu einem Bild fügten.
Die feuchte Luft des Kellerverschlags, den Bazon Thorne sich zum behelfsmäßigen Atelier erkoren hatte, legte sich über das Papier und ließ manche Linie verwischen. Erst hatte Thorne sich darüber geärgert, jetzt aber, da das Werk Gestalt annahm, empfand er die feuchten Flecke als reizvollen Effekt, der ihm von bloßer Hand allein nie gelungen wäre.
Nach der langen Zeit der erzwungenen Abstinenz hatte Bazon Thorne es kaum mehr erwarten können, endlich wieder künstlerisch tätig zu werden - seiner ganz eigenen Kunst zu frönen!
Den Augenblick unmittelbar vor der Mortifikation, dem Absterben von Organen und Gewebe also, einzufangen und zu konservieren über alles Vergängliche hinaus, dies war Bazon Thornes Leidenschaft - die Schönheit, die der Tod bedeuten kann, zu zeigen!
Daß er die künstlerische Freiheit dabei strapazierte, gestand er sich durchaus ein. Doch schließlich war das der Sinn solcher Freiheit -sie zu interpretieren, für den eigenen Zweck auszulegen und zu nutzen.
Insofern sah er es jetzt sogar als vorteilhaft an, mit Kohle arbeiten zu müssen. Dieses Werk würde sich allein auf die Wirkung von Schwarz und Weiß beschränken müssen - und damit die Phantasie des Betrachters beflügeln: Was mag bloß Schatten sein auf diesem Bild? würde er sich fragen, - und was Blut?
Bazon Thorne lächelte ob dieser Vorstellung. Doch die Regung seiner Lippen erstarb, als ihm einfiel, daß niemand, der seine Kunst zu würdigen wußte, seine Werke je zu Gesicht bekommen würde.
So war es in der Zeit vor Highgate Hall gewesen - und daran würde sich jetzt, quasi in der zweiten Periode seines Schaffens, nichts ändern.
Jene, die seine Bilder damals fanden, nachdem sie ihn als mehrfachen Mörder entlarvt hatten, hatten keinen Blick und Sinn für ihre morbide Schönheit besessen. Nur Ekel hatten sie empfunden in Anbetracht seines mitunter fast fotorealistischen Darstellungsvermögens .
Und Mörder - diesen Begriff wollte Bazon Thorne noch heute nicht für sich gelten lassen. Zwar hatte er getötet, sicher - aber hatte er allen, die von seiner Hand gestorben waren, nicht im Grunde Unsterblichkeit geschenkt? Hatte er sie nicht im Wortsinn verewigt, indem er sie gemalt hatte?
»Ars longa, vita brevis«, seufzte Thorne. »Lang ist die Kunst, kurz das Leben.«
Ein schleifendes Geräusch, gefolgt von einem dumpfen Laut, ließ ihn erschrocken von seiner Arbeit aufsehen.
Sein »Modell« hatte sich - bewegt ...
Die Tote - schön noch immer, trotz der blutroten Wunde, die unter ihrem Kinn klaffte wie ein zweiter Mund, zu einem breiten Lächeln verzogen - war von ihrem Thron gerutscht, den Bazon Thorne ihr aus Holzkisten und feuchten Kartons errichtet hatte.
»Na, nicht so eilig«, sagte er lächelnd, »wir sind noch nicht am Ende unserer Sitzung.«
Er stand auf, ging zu der Toten und brachte sie von neuem in Position, bis das flackernde Kerzenlicht wieder jenes Schattenmuster, das er in Ansätzen schon festgehalten hatte, auf ihre Haut warf.
Einen Moment lang wollte Beunruhigung über ihn kommen.
Weil er dieses Mädchen nicht hätte töten dürfen ...
Milton Banks hatte es ihnen untersagt, auch nur einen von denen, die mit ihnen aus Highgate Hall geflohen und auf dieses Gehöft gekommen waren, anzurühren. Ihre Zahl durfte nicht verändert werden.
Jetzt waren es nur 349 hochgefährliche »Patienten«, die über Bazon Thorne in den Stallungen des Hofes gefangen saßen .
Er zuckte die Schultern. Einer mehr oder weniger - was sollte das ausmachen?
Und schließlich - er hatte einfach töten müssen ! Weil er malen mußte. Viel zu lange hatte
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