Die Zusammenkunft
Ledrige Schwingen hatten ihm, dem lange Zeit mächtigsten aller Vampire, den Aufstieg über schwer begehbare Pfade und Pässe erspart.
Hier oben schien ein noch eisigerer Wind als in der Ebene zu blasen, und Landru schärfte die Sinne, die diesem Körper eigen waren, um etwaige Geräusche oder Bewegungen auszumachen, die nicht von den Turbulenzen hervorgerufen wurden.
Vergeblich.
Es schien, als wäre er das einzige denkende Geschöpf in diesem trutzigen Gemäuer, das wie ein dunkles Geschwür am helleren Grau des Felsens prangte. Die Nacht stahl sämtliche Farben.
Landru lächelte voller Ingrimm, als ihm klar wurde, welch profanes Bedürfnis sich selbst nach einer so absonderlichen Reise wie dieser in ihm bemerkbar zu machen begann.
Durst!
Der zügellose, hemmungslose Durst nach Blut .!
Während er seine Lungen mit frostkaltem Atem flutete, kehrten seine Gedanken zu Gabriel zurück. Landru schloß nicht aus, daß der Teufel in Menschengestalt ihm dieses machtvolle und plötzliche Verlangen aus einer seiner Launen heraus suggeriert hatte, ehe er seinen »Gesandten« von Stonehenge aus in diese Einöde versetzt hatte. Vermutlich sollte es Landru die Erfüllung seiner Aufgabe erschweren, denn in dieser Ruine würde sich kaum jemand aufhalten, der unter die Kategorie »normalblütiger Mensch« fiel.
Archonten sollten hier auf die Wiederkehr ihres »Vaters« warten. Jene zwölf vor langer Zeit auf Perpignans Friedhöfen begrabenen und von dort verschleppten Kinder, die inzwischen jahrhundertealt sein mußten!
Bislang hatte Landru nur von Vampiren mit solch hoher Lebenserwartung gewußt - aber hatte Gabriel nicht schon bei der bloßen Er-wähnung des Wortes Leben zynisch aufgelacht?
Er löste sich aus seiner Erstarrung. Einen Steinwurf entfernt mündete der Wehrgang in ein Tor, das ins Gemäuer führte.
Landru schritt entschlossen darauf zu. Das Gefühl, beobachtet zu werden, seit er seine Füße auf den Boden der Festung gesetzt hatte, begleitete ihn. Dann tauchte er durch den Torbogen, hinter dem eine schmale, gewendelte Treppe nach unten führte.
Bald erschwerte eine Art »Dunst« Landru die Sicht, denn das Dunkel im Innern des Gemäuers hatte eine andere Qualität als die Nacht außerhalb. Ein Mensch hätte ohne künstliche Lichtquelle nur noch kompakte Schwärze um sich herum wahrgenommen.
Glücklicherweise bin ich kein Mensch, dachte Landru sarkastisch.
Die Begierde, die jedem Vampir vertraut war, die ihn geißelte, aber auch am Leben erhielt, schwoll in ihm an wie eine stetig lauter werdende, bittersüße Melodie .
*
England, Salisbury Plains
Morgan McDermott kannte keine Angst mehr. Die grauenhaften Ereignisse nur weniger Stunden hatten genügt, um die emotionale Bedeutung dieses Wortes aus dem Bewußtsein des Farmers zu tilgen.
Wohl hatte McDermott noch am eigenen Leibe erlebt, wie gewöhnliche Angst sich steigern und schließlich die Grenze zu panischem Entsetzen erreichen konnte. In dem Moment aber, da sein Empfinden über diese imaginäre Scheide hinausgegangen war, hatte etwas in ihm kurzerhand abgeschaltet; als seien die Sicherungen seiner Psyche durchgebrannt.
Und der Vergleich mochte nicht einmal zu weit hergeholt sein .
Dennoch war Morgan McDermott noch klar zu denken imstande. Auf einer ganz tiefen Ebene seines Unterbewußtseins hatten seine Gedanken Zuflucht gefunden, auf so engem Raum aber, daß nur Platz für das Wesentliche blieb. McDermotts Unterbewußtsein behalf (und schützte) sich damit, alles Furchtbare von der Situation gleichsam abzuspalten und außen vor zu lassen.
Sein Denken beschränkte sich mithin auf den reinen Wunsch zu überleben, und so sann er darüber nach, wie dieser Wunsch Wirklichkeit werden könnte. Einen Weg indes fand er nicht ...
Dafür aber vermochte er zu rekapitulieren, was geschehen war in diesen wenigen Stunden, seit es begonnen hatte. Es - die Besetzung seines Gehöftes, das nahe Stonehenge lag, bis zum heutigen Tage einsam, fernab der Straßen, fast abgeschieden von der Welt.
An diesem Morgen aber hatten die McDermotts Besuch bekommen, den ersten seit Jahren - und in einer Zahl, die alle bisherigen Gäste zusammengenommen weit übertraf!
Über dreihundert Menschen waren es, die im Morgengrauen den Hof gewissermaßen erobert hatten, obschon diese Inbesitznahme gewaltlos vonstatten gegangen war. Zu diesem Moment war noch kein Blut geflossen. Aber der Moment war vergangen, und die Dinge hatten ihren Lauf genommen.
Furchtbare Dinge, die Morgan
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