Die Zusammenkunft
sich? Daß sich dieser Scheißtraum wiederholte, kaum daß er die Augen schloß? Daß wieder dieser unschuldig dreinschauende Junge aus der Schwärze auf ihn zukam und sagte: »Dein Traum wird sich nicht erfüllen. Du wirst diesen Ort nie mehr verlassen. Er wird dein Grab.«?
Es war ihm unglaublich schwer gefallen, dem Traumbild überhaupt zu widersprechen. »Aber wir haben einen Vertrag. Ich erfülle meine Pflicht, und sie .«
»Sie wird ihn nicht brechen.«
»Nein?« Seine Erleichterung war nicht von Dauer gewesen.
»Ich werde ihn annullieren«, hatte der Junge gesagt und hohl gelacht. »Ich werde jemanden schicken mit Durst. Mit großem Durst. Alles andere wird sich ergeben.«
Der Mann im weißen Kittel fröstelte. Und fröstelnd ließ er sich auf das Sofa sinken.
Wie konnte er sich von einem Traum so einschüchtern lassen? Die Frau hatte ihn noch nie belogen. Er konnte ihr vertrauen.
Seufzend ließ er seinen Oberkörper zurück auf das Kissen sinken, das über der Couchlehne lag. Dann griff er nach rechts, fand den Schalter und löschte das Licht.
Wie müde er tatsächlich war, wurde ihm schon nicht mehr bewußt, so schnell war er eingeschlafen.
Der Traum ließ ihn in Frieden.
Ein anderer nicht .
*
Je weiter Landru in das uralte Gemäuer vordrang, desto mehr schwand sein Glaube, hier auf einen Archonten - oder auf irgend jemanden anderes - zu stoßen.
Gabriel hat sich geirrt, dachte er. Unter seinen Sohlen knirschte Sand, der es geschafft hatte, durch Löcher und Ritzen selbst in diese Bereiche der Festung vorzudringen. Hier ist niemand mehr - weder lebendig noch tot!
Langsamer, müder wurde sein Schritt, obwohl sich die Chimären des Durstes drängender in ihm zu Wort meldeten. Such! jammerten und bettelten sie. Such weiter und finde etwas, das uns zur Ruhe kommen läßt! Blut . Warmes, rotes, köstliches Blut .
Nicht nur Landrus Gedanken, auch seine Vorwärtsbewegung geriet ins Stocken.
Unvermittelt tauchte vor ihm eine Tür auf.
Es war die erste Tür überhaupt, auf die er innerhalb des Gemäuers traf. Sie war der erste Hinweis, daß Gabriel doch recht haben könnte. Sie war neu, ziemlich neu jedenfalls, nur das bröckelige Mauerwerk, das sich zu allen Seiten an sie anschloß, war es nicht .
Nach kurzem Zögern ging Landru auf das Hindernis aus Akazienholz zu und drückte dagegen.
Es bewegte sich nicht, hielt dem Druck seiner Hände stand.
Ein Riegel oder ein anderer Mechanismus zum Öffnen war auf dieser Seite der Tür nicht zu erkennen.
Landru machte kurzen Prozeß. Dort, wo seine Handflächen auflagen, strömte magische Energie in die Maserung des Holzes, das knisternd entflammte.
Landru wich einen Schritt zurück und wartete ab.
Es war kein normales Feuer, das die Barriere zerstörte. Ein solches hätte viel länger gebraucht - wenn es überhaupt ausreichend Nahrung in dem harten, überaus trockenen Material gefunden hätte.
Sekunden später rieselte graue Asche zu Boden. Die Tür sank wie ein fallender Vorhang in sich zusammen.
Landru übertrat die Schwelle.
Auch in dem Raum, in den er gelangte, brannte kein Licht. Dennoch mußte er bis vor kurzem noch benutzt worden sein. Landru fühlte sich in .
... ein Krankenhaus versetzt?
In einen Operationssaal...?
Ungläubig schüttelte er den Kopf. Im selben Augenblick erhaschte er aus den Augenwinkeln eine schattenhafte Bewegung. Als er genauer hinsah, schwang eine zweite Tür zu, die zuvor ein Stück weit offen gestanden hatte, und ein Schlüssel drehte sich im Schloß.
Landru reagierte. Mit zwei, drei Sätzen erreichte er die Tür und äscherte auch sie ein.
Der Gang dahinter war ebenso klinisch sauber und steril wie der »Operationssaal«. Zu beiden Seiten tauchten weitere Türen auf, allesamt verschlossen. Aber keine fliehende Gestalt .
Landru zerquetschte den Fluch, der ihm auf der Zunge lag, zwischen den Zähnen. Such! raunte es wieder durch seine Hirnwindungen. Finde ein Opfer, still deinen Durst...!
Genug! Er ballte die Fäuste. Er war nicht hier, um irgendwelche Begierden zu stillen. Er war gekommen, um seine Verpflichtung gegenüber Gabriel zu erfüllen und endlich wieder frei in seinen Entscheidungen zu werden! Nachdem das Pfand von seiner Seele genommen war, wollte er unverzüglich nach Anum Ausschau halten. Es mußte eine Möglichkeit geben, ihn davon zu überzeugen, daß er, Landru, nicht sein Feind, sondern immer noch sein Bruder war. Und dann . konnten sie gemeinsam gegen den Leibhaftigen vorgehen, ihm mit
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