Die Zusammenkunft
verletzt, sie hat eine aufgeplatzte Lippe und ein Hämatom am Hinterkopf. Sie sollten sie heute Nacht im Auge behalten, falls es ihr wieder schlechter geht, denn sie hat auch eine Gehirnerschütterung«, damit ging er.
Ben zögerte, dann betrat er das Behandlungszimmer. Die Unbekannte saß blass und ängstlich auf der Behan dlungsliege und sah ihn mit großen Augen an. Er nahm sie stumm am Arm und führte sie hinaus. Bis heute hatte er Mexiko Stadt immer als eine aufregende Metropole betrachtet, die wie jede Großstadt auch ihre Schattenseiten hatte. Jetzt jedoch war ihm der Schatten noch bewusster geworden, der in allen Ecken zu lauern schien.
Ben führte die junge Frau auf die Straße und fragte sie erst auf Englisch und dann auf Spanisch nach ihrem Z uhause. Sie reagierte zeitverzögert, ging dann aber langsam voraus. Sie liefen fast eine Stunde. Es war schon spät in der Nacht, als sie in einer Straße ankamen, die überwiegend aus Papp- und Wellblechhütten bestand. Das Mädchen führte ihn in einen kleinen Verschlag und bot ihm einen Platz an. Auf der Erde lag eine verdreckte Decke, überall roch es nach Urin und vergammeltem Müll.
»Wohnst du hier?«, fragte er.
Sie nickte und er sah, wie sie sich schämte.
»Leg dich hin und schlaf, ich bleibe hier und passe auf dich auf.«
Sie sah ihn verwundert an, dann gehorchte sie und legte sich hin, schloss aber nicht die Augen, sondern blickte ihn an und sagte kein Wort. Irgendwann fielen ihr die Augen zu und sie schlief ein. Ben betrachtete sie liebevoll. Er hatte einen kleinen Kerzenstumpf gefunden, den er angezündet hatte, um früh genug erkennen zu können, wenn sich irgendein Tier an ihr oder ihm zu schaffen machen wollte. Bis die Sonne aufging, blieb er bei ihr. Dann stand er auf und ging, ohne ein Wort zu sagen.
In seinem Hotel zog er als Erstes seinen Anzug aus und ließ ihn vom Hotel reinigen. Drei Stunden später traf er sich mit dem Investor, der immer noch der Meinung war, es sei noch Zeit zum Spielen. Ben hörte sich seine Ausflüchte, warum er noch keine Entscheidung treffen wolle, kommentarlos an, dann stand er auf und ging.
Auf der Piazza setzte er sich in eine Bar, bestellte Frühstück und kaufte sich eine Zeitung. Mexiko Stadt war schön, überall konnte man die Zeichen der Geschichte erkennen, das Erbe der Azteken. Er aß sein Croissant und plötzlich sah er im Geiste wieder die Augen der jungen Frau. Er schluckte, wollte die Erinnerung daran fortwischen, doch es gelang ihm nicht.
Als er zu Ende gefrühstückt hatte, bezahlte er und ging. Er schlenderte durch die Stadt und fand sich plöt zlich irritiert in der Nähe der Baracken wieder. In einem Teeshop kaufte er heißen Tee, selbst bis hierher war die Zivilisation vorgedrungen. An jeder Ecke gab es Coffee oder Tea to go. Dann besorgte er warme Croissants und suchte nach ihrer Hütte.
Ben musste sich bücken, um hineinzugehen, aber sie war nicht da. Er wusste nicht, ob er enttäuscht oder e rleichtert sein sollte. Schließlich drehte er sich um und wollte fortgehen, als sie plötzlich vor ihm stand. Sie erblickte den Tee und das Croissant und sah ihn fragend an.
»Ich wollte nur mal sehen, wie es dir geht, und dachte, du hast nichts zu essen und bestimmt Hunger.« Er reichte ihr die Sachen und fühlte sich unbehaglich. Er war hier, um einen der schwierigsten Investoren weichzukochen, den die Firma im Moment auf dem Schirm hatte, und bei einer so jungen Frau fing er an zu stottern. Was war nur mit ihm los? Hatte er den Verstand verloren? Das L ächeln, das sie ihm schenkte, und das Strahlen, als sie in das weiche Croissant biss, ließen ihn schließlich auch den letzten Gedanken an Vernunft aufgeben.
Er nahm sie mit. Er kaufte ihr schöne bunte Kleider, ließ ihr Haar schneiden. Anschließend ließ er ihr in se inem Hotelzimmer ein Bad ein, legte ihr Handtücher hin und ging hinaus. Jedes Mal, wenn sie versuchte, sich ihm anzubieten, verweigerte er sich. Als sie schließlich angezogen und frisiert aus dem Bad kam, erschrak er – sie war nicht nur bildschön, sie war offensichtlich noch jünger, als er gedacht hatte. Er ging mit ihr in ein Restaurant; so, wie sie schlang, musste sie bereits seit Tagen hungrig gewesen sein.
Die Nacht ging viel zu schnell vorbei, sie saßen nur so da, er erzählte von seiner Familie, seiner Frau und den beiden Kindern in New York und sie taute auf und beric htete in einfachen Worten und kurzen Sätzen von ihrem Leben. Als die Sonne aufging, brachte er
Weitere Kostenlose Bücher