Die Zusammenkunft
der Heimat ohne Trauma übersteht.« Bei den letzten Worten grinste sie so breit, dass ihre Lippen fast die Ohren berührten.
Lora hatte sie längst durchschaut und grinste auch.
»Allerdings solltest du deine Englischkenntnisse verbessern, damit ich auf dich zurückgreifen kann, wenn ich Probleme bekomme. Ich hab auf den ganzen Sprachenquatsch keinen Bock. Ich konzentriere mich lieber auf psychologische Kriegsführung!« Sie lachte laut und schlug bei Lora ein, die in weiser Voraussicht schon die Hand erhoben hatte.
Die nächsten zwei Tage arbeiteten sie und Lora bis weit nach zehn Uhr, um alle Produktzahlen sauber für eine Präsentation aufzuarbeiten. Sie wollte keine unerl edigten Dinge in der Schublade liegen haben und jeder Ordner sollte sauber beschriftet an seinem Ort stehen.
Lora hatte es geschafft, am Mittwochabend einen we iteren Schreibtisch und einen Laptop zu ordern. Sie schoben Tische und Stühle und archivierten alte Akten.
In der Mittagspause am Donnerstag gingen sie in die Stadt und kauften frische Blumen für die Fensterbank und eine Tasse mit der Aufschrift »Thank God, I am not a Macho!« und einem kleinen dicken Männchen auf der Rückseite, das verschämt mit heruntergelassener Hose über die Schulter blickte. Lora war sich nicht ganz sicher, ob der Hinweis nicht zu weit ging, aber Sirona lachte nur. Ein kleiner Wink, wer der Boss im Raum blieb und dass er es mit geballter Frauenpower zu tun bekam, könne nicht schaden.
Den Freitag nahmen sie sich frei.
Es passte Sirona gut, dass Kim dieses Wochenende bei ihrem Vater verbrachte. Sie selbst hatte Werner schon lange nicht mehr gesehen, was ihr auch entgegenkam. Der Typ regte sie mit seiner ignoranten und überheblichen Sturheit nach wie vor auf. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte sie jeglichen Kontakt abgebrochen, aber sie wusste, dass der Umgang für Kim wichtig war.
Als sie am Samstag in Winterberg eintraf, um ihre Freundin Stella in den Arm zu nehmen, tat das richtig gut. Stella hatte eine kleine Praxis für Kinder- und Trauma-Psychologie, und wenn sie nicht von ihren Patienten rund um die Uhr in Beschlag genommen wurde, besuchte sie an den Wochenenden Fortbildungen. Sie selbst hatte auch zwei Kinder, die aber mit einem Bein schon aus dem Haus waren.
Stella lebte seit drei Jahren mit Piet zusammen, den Sirona in Gedanken immer Brummbär nannte. Piet war groß und sehr schlank, aber wenn er den Mund aufmachte, war man überrascht, denn seine sonore Stimme hätte auch einem Zwei-Tonnen-Bär gehören können. Sirona mochte Piet sehr.
Ihre Freundschaft war noch nicht sehr alt. Sie hatte Stella erst vier Wochen, bevor diese Piet kennengelernt hatte, getroffen. Beide waren in dem gleichen Singlechat unterwegs gewesen, um sich mal wieder umzusehen, was so auf dem Markt unterwegs war. Stella hatte sie mit dem Hinweis angeschrieben: Keine Angst, bin keine Lesbe, aber da wir im gleichen Gebiet suchen, sollten wir mal zusammen ausgehen und uns in der realen Welt umsehen. Es ist nicht so mein Ding, allein eine Kneipe aufzusuchen. Sirona hatte nur knapp mit einem »O. K.« geantwortet.
Am darauffolgenden Samstag hatte es geregnet, wä hrend sie mit Kim im Bett gelegen und Filme angesehen hatte, als sie spontan Lust bekam, Stella eine SMS zu schreiben. Innerhalb von zwei Minuten hatte Stella für den Abend zugesagt und tatsächlich pünktlich um acht vor der Tür gestanden. Sirona hatte geöffnet, und statt eines »Guten Abend« kam ein: »Ich hab mir gerade den Nagellack zerkratzt, hast du vielleicht einen ähnlichen?«
Sie gingen dann in die Kneipe und erzählten sich aus ihrem Leben. Als Stella sie morgens vor dem Haus a bsetzte, sah sie Sirona an und sagte: »Hammer, haben wir uns wirklich heute Abend erst kennengelernt?« Sie drückten sich ganz fest und verabredeten, dass Stella über Ostern für drei Tage bei Sirona einziehen sollte, damit sie nicht allein zu Hause sitzen musste, während ihre Kinder beim Vater waren.
So war Stella mit einem Wumm in ihr Leben getreten und seitdem nicht mehr wegzudenken. Mit Stella über psychologische Hintergründe zu diskutieren war großartig, fand Sirona, und Stella schaffte es immer wieder, durch ihre Art Sironas Blickwinkel zu verändern. Sie waren nicht immer einer Meinung, aber jedes ihrer Gespräche war für Sirona eine Bereicherung.
Stella wusste fast alles von Sirona, mit Ausnahme der Ereignisse in Dresden .
Es gab nämlich ein Thema, in dem sie nie übereinstimmten, und das war Sironas
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