Die Zusammenkunft
entdecken. Sie vergrub das Gesicht in den Händen und schluchzte los. Sie schämte sich so sehr. Sie spürte, wie seine Hand von ihrer Schulter glitt. »Haben Sie keine Angst, Sie können mir vertrauen.« Mit diesen Worten stand er auf, verließ diskret den Raum und schloss leise die Tür hinter sich.
Sirona war allein, allein mit ihrer Angst, allein mit i hrer Scham und allein mit Fragen, die ihr kein Mensch beantworten konnte. Sie schloss die Augen: »Ich bin reiner Geist, reiner Geist bin ich, frei von allen Grenzen, sicher geheilt.« Tränen strömten über ihre Wangen, sie fühlte sich entsetzlich verlassen, einsam und verloren. Sie hatte keine Kraft mehr, gegen diese vernichtenden Gefühle anzugehen, die sich immer häufiger Bahn brachen. Sie ließ sich mit einem Stöhnen zurückfallen, drehte sich zur Seite, wickelte sich fest in ihre Bettdecke ein und weinte, bis sie vor Erschöpfung einschlief.
Viel zu spät wachte sie am nächsten Morgen auf. Es war schon hell und die Sonne begann das Schlafzimmer zu wärmen. Sie ging ins Bad und als sie am Spiegel vo rbeikam, sah sie ihre vom Weinen geschwollenen Augen.
Mein Gott, so konnte sie sich nicht runter wagen, ihre Mutter würde sofort sehen, dass sie geweint hatte. Sie bestrich ihre Augen mit allen möglichen Augencremes, die sie in den Schubladen fand, und legte sich zurück ins Bett, sie konnte nicht aufstehen. Sie fühlte sich krank und schwach, völlig ausgelaugt.
Sie lag auf dem Rücken und erinnerte sich an die warme, beruhigende Umarmung von Paul, an seine flüsternde Stimme, die in sie eindrang und die sie geweckt hatte. › Haben Sie keine Angst, Sie können mir vertrauen ‹, hatte er gesagt. Sie hoffte so sehr, dass sie ihm wirklich vertrauen konnte. Aber jetzt gab es einen Mitwisser, jetzt gab es einen Menschen in ihrer Nähe, der irgendwann anfangen würde, Fragen zu stellen. Fragen, die sie nicht bereit war zu beantworten. Fragen, auf die es keine Antworten gab.
Es war weit nach Mittag, als sie in leichten Somme rhosen, Shirt und Sonnenbrille die Treppe hinunterkam. Es war still im Haus und sie betrat durch die weit geöffnete Terrassentür den Garten, aber dort war niemand. Sie ging zurück in die Küche. Dort lag in der Tüte vom Bäcker gegenüber noch ein Brötchen. Sie erkannte Ommas etwas verkniffene und verschnörkelte Handschrift auf dem Zettel daneben. Sind in die Stadt gefahren, Paul will sich den Wochenmarkt anschauen. Wenn wir was mitbringen sollen, dann ruf an, habe das Handy dabei. Omma.
Das war gut, sie war also allein. Sie schmierte sich das Brötchen und machte sich einen großen Pott Kaffee, griff die Tageszeitung und ging wieder hinaus auf die Terrasse.
Herby kam aus Ommas Gartenecke völlig verschlafen auf sie zugetorkelt. Selbst Kim sah nach einer überlangen Nacht nicht so zerknautscht aus wie dieser Hund. Natürlich war Herby vor ihr auf der Liege und sie musste ihn wie immer erst einmal herunterscheuchen, um sich bequem hinzusetzen. Kaum hatte sie ihre Kissen zurechtgerückt, lag Herby auch schon zwischen ihren Beinen. Sie nahm einen Schluck Kaffee, ließ die heiße Flüssigkeit genüsslich die Kehle herunterrinnen und genoss ihre belebende Kraft. Sie war noch in die Zeitung vertieft, als Herby aufsprang und zur Tür rannte.
»Na, du Schlafmütze, bist du endlich wach ?« Ihre Mutter kam um die Ecke und begrüßte fröhlich den Hund. Hinter ihr erschien Paul, vollbepackt mit Türen voller Lebensmittel und einem großen Strauß Lilien.
»Guten Morgen, ich glaube, ich habe heute meine zweite Reifeprüfung bestanden.« Er grinste breit.
Omma schubste ihn an der Schulter. »Na, jetzt übe rtreib aber nicht«, sagte sie und nahm ihm lachend ein paar Tüten ab. Paul stand jetzt etwas verloren vor ihr auf der Terrasse. Mit den Blumen in der Hand, schaute er verschämt zu ihr hinüber.
»Ich will jetzt keinen falschen Eindruck machen! Wenn wir morgen fliegen, wird sich Omma an den Bl umen erfreuen, aber erst mal können wir sie ja auf Ihren Tisch stellen.«
Er marschierte in Sironas Küche und sie folgte ihm.
»Ich glaube nicht, dass Sie sofort in unserem doppelt strukturierten Haushalt eine Vase finden.« Sirona ging an ihm vorbei in den Hauswirtschaftsraum und kam mit einer hohen Glasvase zurück.
»Die Blumen sind wirklich schön, ich mag Lilien. Sie sind edel und schlicht, sie passen zu einer Hochzeit und zu einer Beerdigung. Sie symbolisieren für mich die Ewigkeit, das ist es, was mir so an ihnen gefällt, der G
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