Die Zwanziger Jahre (German Edition)
Wildschweine akkurat aufgebahrt. Anschließend wurde, wie es die Tradition verlangt, der Jagdherr beglückwünscht für das tolle Erlebnis, und es ging in die Kneipe zum Schüsseltreiben. Dazu braucht es dreierlei: deftiges Essen, viel Bier und reichlich Schnaps. Zum Höhepunkt wird das Jagdgericht abgehalten, vor dem ein Ankläger mit launigen Worten die Jagdsünden des Tages vorbringt und ein Richter die Schuldigen aburteilt. Auch Egidius Braun wurde angeklagt, weil er nicht geschossen hatte, was unter bestimmten Gesichtspunkten nicht waidgerecht ist. Der Richter verurteilte ihn dazu, ein paar Länderspielkarten zu besorgen. Was seine Beliebtheit noch steigerte.
Aus der Jagdbekanntschaft zwischen Egidius Braun und mir wurde indes schnell eine Freundschaft zweier verwandter Geister. Als Schatzmeister des Fußballverbands Rheinland gehörte ich dem Steuer- und Wirtschaftsausschuss des DFB an, wo wir uns regelmäßig trafen und eng zusammenarbeiteten. Dann fiel die Mauer in Berlin, die deutsche Wiedervereinigung wurde Realität, auch für die Fußballer aus Ost und West. Die neuen Freunde hat Egidius Braun im Oktober1990 , kurz nach der gewonnenen WM , eingeladen zum EM -Qualifikationsspiel unserer Nationalmannschaft in Luxemburg.
Für unsere ostdeutschen Gäste war dieses Spiel im strömenden Regen, in dem die Luxemburger uns in der zweiten Halbzeit ein großartiger Gegner waren und aus dem 0:3 noch ein 2:3 machten, ein Riesenereignis. Doch der Fußball zeigte leider auch seine Schattenseiten. Es kam zu schweren Ausschreitungen deutscher Hooligans, und schon damals war mir klar, dass Fußball auf Topniveau nicht nur Freude, sondern manchmal auch viele Sorgen bringen kann.
In die Zeit der Wiedervereinigung fiel auch die schwere Erkrankung des damaligen DFB -Präsidenten Hermann Neuberger, der am 27. September 1992 starb. Einen Monat später trat Egidius Braun seine Nachfolge an. Auch für mich brachte das Jahr 1992 einschneidende Veränderungen. Im Mai wurde ich zum Vorsitzenden des Fußballverbands Rheinland gewählt und rückte beim Bundestag als Vertreter des Regionalverbands Südwest in den Vorstand des DFB auf.
Mit der Wahl von Egidius Braun zum neuen Präsidenten verstärkte sich auch meine Arbeit auf DFB -Ebene. Braun, der die soziale Bedeutung des Fußballs besonders herausstellte, erinnerte sich an unsere Gespräche in der Eifel. Nach seiner Vorstellung sollte ich kein einfaches Vorstandsmitglied sein, sondern Sonderaufgaben übernehmen. So ernannte er mich zum Beauftragten für soziale Integration.
Der Kommerz nahm den deutschen Fußball derweil immer stärker in seinen Griff. Nach der Europameisterschaft 1988 in Deutschland und dem WM -Titel 1990 in Italien veränderte sich die Fernsehlandschaft. Das Aufkommen der Privatsender versprach höhere Einnahmen und bessere Möglichkeiten, Sponsoren zu gewinnen. Braun wollte sichtbar machen, dass die 26 000 Fußballvereine im DFB auch davon profitierten. Nationalmannschaft, Bundesliga, Amateurfußball, Breitensport, soziales und gesellschaftliches Engagement – das gehörte für ihn alles zusammen und musste eine Einheit bilden.
Meine Aufgabe war es, Konzepte zu entwickeln, die nachvollziehbar und finanzierbar waren. So entstanden die Freizeiten für Jugendmannschaften aus ganz Deutschland mit einer großen Abschlussveranstaltung am Lensterstrand an der Ostsee: ein Ferienaufenthalt für Vereine, die sich in einem Vorwettbewerb durch besondere soziale Jugendarbeit und nicht nur durch Leistung ausgezeichnet hatten. Jugendobmann Willi Scheuerl aus Westfalen hatte die Idee, ich habe sie ausgeführt. Es gelang mir, Egidius Braun davon zu überzeugen, diese Freizeiten alljährlich zu veranstalten und alle Landesverbände mitzunehmen. Hier konnte die Wiedervereinigung ganz praktisch gelebt werden. Eine Erfolgsstory, die bis heute anhält.
Unser Jugendförderprogramm ruhte auf verschiedenen Säulen. Eine war der Jugendförderpreis, eine andere der sogenannte »Seitenwechsel«, ein Austausch zwischen Vereinen in Ost und West. Es wurde immer deutlicher, dass unsere Vereine in einer Monofußballstruktur bald Probleme bekommen würden. Sie mussten ihr Angebot verbreitern, sich auch um den Freizeit- und Breitensport kümmern. Es gelang mir, als Schirmherrin für diese Projekte die damalige Jugendministerin Angela Merkel zu gewinnen, für die ich bald Respekt und Sympathie entwickelte.
Indessen musste dieses wachsende soziale Engagement des DFB in eine Struktur gebracht
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