Die Zwanziger Jahre (German Edition)
hauptamtlichen Mitarbeitern formulieren zu lassen. Ich wusste aber, was ich wollte, denn ich hatte ja ihn, den Spezialisten. Es gab keinen Besseren als Alfred Sengle, um eine solche Satzung auszuformulieren.
Kern der Reform war die Gründung eines Ligaverbands durch die Vereine der beiden Bundesligen. Der DFB verpachtet dem Ligaverband die Rechte am Spielbetrieb und an der Vermarktung, wofür die Liga drei Prozent der Einnahmen aus dem Eintrittskartenverkauf und aus den Fernsehverträgen an Pachtzins zahlt.
Ich gehe davon aus, dass um dieses Pachtmodell in absehbarer Zukunft ein Kampf entbrennen wird. Die Liga wird versuchen, das Modell so zu ihren Gunsten zu verändern, dass am Ende sie allein die Rechte besitzt. Obwohl die bisherige Regelung dem DFB und der Liga steuerliche Vorteile gebracht hat, fühlen sich die Profis nicht wohl in der Rolle als Pächter. Eine solche Veränderung des Grundlagenvertrags setzt allerdings eine Satzungsänderung voraus, und die lässt sich nur mit den Stimmen der Amateurvertreter durchsetzen. Ich warne dringend davor, diesen Weg auch nur ansatzweise zu beschreiten.
Das Verhältnis zwischen Liga und DFB wurde im Grundlagenvertrag sauber geregelt. Unter anderem ist dort festgelegt, dass die Profivereine ihre Spieler für die Nationalmannschaft abzustellen haben, auch für das alle zwei Jahre stattfindende Benefizspiel. Ganz im Sinne von Egidius Braun waren in der neuen Satzung und im Grundlagenvertrag die sozialen und gesellschaftlichen Aufgaben des Verbands festgeschrieben, die das Engagement des Verbands zu einer dauerhaften Entwicklung und nicht nur zu einem Modetrend machten. Wir haben eine klare Positionierung gegen jede Form von Diskriminierung in die neue Satzung einfließen lassen und damit auch die Vorgabe für alle Mitgliedsverbände und die Vereine, sich deutlich und konsequent in diesem Sinne zu verhalten.
Obwohl Gerhard Mayer-Vorfelder ein Mann der Liga war, hat er immer für die Einheit des Fußballs geworben (©dpa Picture Alliance).
Noch bevor wir die neue Satzung auf dem außerordentlichen Bundestag zur Abstimmung stellten, erkrankte Egidius Braun schwer. Gerhard Mayer-Vorfelder übernahm die Geschäfte und wurde in der Schlussphase zu unserem Ansprechpartner in Sachen Strukturreform.
Vorher hatte ich Mayer-Vorfelder kaum gekannt und hielt mich weitgehend an das Bild, das die Medien von ihm zeichneten. Als ich nun mit dem Satzungswerk unterm Arm nach Stuttgart fuhr, war ich überrascht. Der Mann empfing mich vorn an der Tür und war ausgesprochen höflich und entgegenkommend. Wir gingen gemeinsam den Entwurf durch, wobei ihn am meisten interessierte, wer bei der Nationalmannschaft das Sagen hatte. Wir haben die Zuständigkeit des DFB -Präsidenten entsprechend seinen Wünschen eingearbeitet, und er war zufrieden. Anschließend hat er mich noch hinausbegleitet und mich mit freundlichen Worten verabschiedet.
Schon zuvor, als MV noch Finanzminister in Baden-Württemberg war, hatte ich mich bei einem Besuch in seinem Ministerium gewundert, mit wie viel Zuneigung und Respekt alle Mitarbeiter vom Pförtner bis zu den Abteilungsleitern über MV redeten. Da fiel kein kritisches Wort, keiner konnte ihm Überheblichkeit oder Arroganz nachsagen. Man schätzte ihn und war davon überzeugt, dass er mit seiner Arbeit im Interesse aller wirkte. Auf diese Meinungen habe ich viel gegeben, denn über den Charakter eines Menschen können am besten die etwas erzählen, die ihn in der täglichen Arbeit erleben.
MV hatte als leidenschaftlicher Raucher nie Geld für Zigaretten in der Tasche, sodass sein armer Referent Jan Lengerke bei jeder Gelegenheit aushelfen musste. Ob er diese Einsätze wiederbekommen hat, weiß ich nicht. Gelddinge überlässt MV seiner Frau. Auf Dauer wurde mir dieser Mann mit seinen kleinen Eigenarten immer sympathischer. Sein großzügiges Verhältnis im Umgang mit verabredeten Terminen hat nur am Anfang für Unsicherheit gesorgt. Ich lernte bald, dass er irgendwann auftauchen und sogleich die Zügel in die Hand nehmen würde. Liga-Direktor Wilfried Straub, von Egidius Braun an höchste Pünktlichkeit gewöhnt, kann vom »alternativen« Verhalten Gerhard Mayer-Vorfelders ein Lied singen. Alternativ war er jedoch nur in dieser einen Hinsicht, nicht aber in seiner grundsoliden konservativen Haltung. Für Aufsehen hatte er 1986 als Kultusminister in Baden-Württemberg mit der Anregung gesorgt, Grundschüler sollten alle drei Strophen des Deutschlandlieds
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