Die Zwanziger Jahre (German Edition)
Bei der Begeisterung und Verehrung, die ihm nach der eindrucksvollen WM -Vorstellung entgegenschlug, wird leicht vergessen, wie laut es in den Monaten zuvor bisweilen knirschte im Getriebe zwischen DFB und Bundestrainer.
Zunächst sorgte Klinsmann mit seinen Reformplänen dafür, dass in der Hauptamtlichkeit Köpfe rollten. Dafür tauchten neue Gesichter auf wie Oliver Bierhoff und Joachim Löw. Bierhoffs Posten als Teammanager der Nationalmannschaft hatte es bislang nicht gegeben; nicht wenige Altgediente hielten diese Konstruktion für Unfug und hätten es lieber gesehen, wenn alles beim Alten geblieben wäre. Jahrelang hatte sich Bernd Pfaff um nahezu alle organisatorischen Dinge im Umfeld der Nationalmannschaft gekümmert, und mit seiner Arbeit war der DFB zufrieden. Aber der Fußball hatte sich seit Ende der Neunzigerjahre weiterentwickelt, vor allem in der Außendarstellung. Die Nationalmannschaft unterliegt gewissermaßen auch den Gesetzen der Unterhaltungsindustrie und kann von einem ehemaligen Spieler mit großer Karriere und entsprechender Ausstrahlung besser verkauft werden. Das war uns damals noch nicht so bewusst.
Als Volltreffer erwies sich die Verpflichtung von Joachim Löw als Kotrainer. Er war wesentlich mehr als ein Assistent und hat die sportliche Vorbereitung auf die WM im eigenen Land maßgeblich gelenkt. Dabei war auch er zunächst gar nicht vorgesehen, denn nach dem Willen der Verbandsführung sollte Holger Osieck diesen Posten erhalten, der schon beim Titelgewinn von 1990 als Assistent des damaligen Teamchefs Franz Beckenbauer fungiert hatte. Doch Jürgen Klinsmann wäre nicht er selbst, wenn er sich um die Meinung der Funktionäre geschert hätte. Nein, er hatte seine eigenen Vorstellungen, und das waren, wie ich gerne zugebe, die besseren.
Jürgen Klinsmann verlangte zahlreiche einschneidende Umwälzungen. Umsetzen mussten sie andere, in aller Regel Horst R. Schmidt und ich. Das fiel uns nicht leicht, wenn ein verdienter Mitarbeiter wie Bernd Pfaff, der quasi als Lehrling beim DFB begonnen hatte, ausscheiden musste. So verständlich und richtig diese Entscheidung auch mit Blick auf die Zukunft war, so schwer fällt es doch, sich von einem Menschen im Streit verabschieden zu müssen, mit dem man selbst gut zusammengearbeitet hat.
Nachdem Klinsmann den DFB schon gewaltig umgekrempelt hatte, nahm er sich der Quartierfrage an. Er bestand darauf, mit der Mannschaft während des Turniers in Berlin zu wohnen. Dass der DFB vorher mit Rudi Völler und Bayer Leverkusen vereinbart hatte, das Mannschaftsquartier im Schlosshotel Lerbach in Bergisch Gladbach zu errichten und in Leverkusen zu trainieren, war auf einmal Makulatur. Jürgen Klinsmann interessierten solche Verträge nicht. Das war kein mangelnder Respekt, er fühlte sich seinem Auftrag verpflichtet. Er sollte für den sportlichen Erfolg bei dieser WM sorgen, also musste man ihm auch die Möglichkeit geben, die Voraussetzungen so zu gestalten, wie er sie für richtig hielt. Eine Haltung, die ich nachvollziehen konnte. Aber der Verband hatte Verträge abgeschlossen und sein Ansehen zu verlieren, wenn er sie nicht einhielt.
Ich habe mich damals zu dem gültigen Vertrag mit Leverkusen bekannt, und schon war der Konflikt da. Erstmals stellte ich mich öffentlich gegen die Wünsche von Jürgen Klinsmann, was offenbar vielen aus der Seele sprach. Aber auf Dauer war meine Position nicht haltbar. »Diese Schlacht kannst du nicht gewinnen«, sagte Mayer-Vorfelder zu mir. »Du wirst sehen, zum Schluss entscheidet der Trainer über das Mannschaftsquartier.« Er sollte recht behalten. Aber ich sah auch die große Chance, den Nobody Theo Zwanziger in der Öffentlichkeit etwas bekannter zu machen.
Zu leicht konnte ich es auch einem Sturkopf wie Klinsmann nicht machen. Selbst ein Reformator kann nicht alles, was vorher war, einfach auf den Kopf stellen. Bei allem Verständnis für seine sportliche Neuorientierung musste ich erwarten, dass er sich mit den Argumenten auseinandersetzte. In einem Vieraugengespräch hatte ich das Gefühl, dass Klinsmann meine Argumente verstand. Dass er an Berlin festhalten wollte und musste, was sich letztendlich ja auch als richtig erwiesen hat, konnte ich wiederum nachvollziehen. Ich war also der Verlierer in der Diskussion um das Mannschaftsquartier, aber gleichzeitig war ich auch ein Gewinner. Mein Bekanntheitsgrad war deutlich gestiegen; viele Fußballinteressierte spürten, der Zwanziger macht nicht einfach alles, wie
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