Die Zwanziger Jahre (German Edition)
Bundestrainerjob ging, sondern ausschließlich um die Nachwuchsförderung. Heute können wir wohl feststellen: Er hat diesen Job nicht als Sprungbrett gewollt, um irgendwann Jürgen Klinsmann abzulösen.
Diese Entscheidung des DFB -Präsidiums war eine schwierige, und sie sollte Jürgen Klinsmanns Verhältnis zu mir erneut strapazieren. Im Präsidium gab es eine klare Mehrheit für Sammer, und deshalb war es mir wichtig, mit Klinsmann und Bierhoff vor der entscheidenden Sitzung noch einmal zu sprechen. Wir trafen uns im Dienstzimmer des Generalsekretärs, und ich riet Klinsmann in aller Deutlichkeit, seinen Vorschlag für Bernhard Peters zurückzuziehen und die Lösung mit Matthias Sammer zu akzeptieren. Das Gespräch verlief kompromisslos und endete mit meiner Feststellung: »Mein lieber Jürgen, Sie haben jetzt eine halbe Stunde Zeit, dann beginnt die Präsidiumssitzung. Wenn Sie vorher nicht wieder da sind und mir mitteilen, dass Sie die Entscheidung für Sammer akzeptieren, dann beenden wir unsere Zusammenarbeit.«
Jürgen Klinsmann war rechtzeitig wieder da. Das Plädoyer für Peters in der Präsidiumssitzung überließ er Oliver Bierhoff. Der schlug sich wacker, konnte aber die Mehrheit für Sammer auch nicht mehr umdrehen. Klinsmann trug seine erste Niederlage außerhalb des Spielfelds mit Fassung. Ihm wurde zweierlei klar: dass man mit mir zusammenarbeiten kann, dass es aber andererseits Grenzen gibt, was man mir abfordern kann. Jetzt mussten wir versuchen, diese Zusammenarbeit zu pflegen. Denn wir waren zum Erfolg verdammt.
Doch in der Öffentlichkeit wuchsen die Zweifel, ob Klinsmann der Richtige war, um die deutsche Mannschaft zur WM zu führen. Seine Eigenwilligkeiten wie auch seine neuartigen Trainingsmethoden stießen bei den Fans und auch bei den Medien auf Misstrauen. Denn es hatte doch mit der althergebrachen deutschen Trainingswirklichkeit nicht viel zu tun, wenn Klinsmanns Fitnessteam mit Gummibändern anrückte und die Nationalspieler Übungen wie beim Gymnastikkurs vollführen ließ.
Außerdem schien sein Bestreben zu sein, so häufig wie möglich seine Familie in den USA zu besuchen, und viele stellten die Frage, wie er aus dieser Entfernung die Mannschaft im Griff behalten wollte. Dazu muss man wissen, dass die mächtige »Bild«-Zeitung traditionell nicht gerade zu Klinsmanns Freunden gehörte. Weil er der Zeitung immer distanziert begegnet war, hatten die »Bild«-Leute wenig Hemmungen, ihn in die Pfanne zu hauen. Immer wieder kam der Vorwurf, er solle sich gefälligst mit Experten aus dem Trainergeschäft und aus der Bundesliga zusammensetzen, um endlich das Handwerk zu lernen, so wie es die Fußball-Traditionalisten verstanden.
Am 1. März, wenige Monate vor dem WM -Beginn, kassierte unsere Nationalmannschaft eine 1:4-Schlappe in Florenz gegen Italien. Auf dem Hinflug bemühten wir uns, die Missstimmungen wegen der Sportdirektor-Entscheidung auszuräumen. Klinsmann sollte wissen, dass ich loyal zu ihm stand und die Entscheidung für Matthias Sammer keine Entscheidung gegen ihn war. Das Spiel war in der Tat schrecklich, schon nach sieben Minuten stand es 2:0 für die Italiener. Wir wurden regelrecht überrollt, unsere Mannschaft brachte an diesem Tag einfach nichts zustande. Ganz Deutschland, und ich schließe mich da ein, sah schwarz für die WM . Jürgen Klinsmann war erschüttert. Nach dem Spiel herrschte Schweigen. Dann holte er sofort alle Spieler in einen Nebenraum. Was dort im Einzelnen gesagt wurde, weiß ich nicht. Und als er in den Tagen nach dem Spiel wie geplant wieder in die USA flog und sich bei einem Workshop der WM -Trainer, bei dem es vornehmlich um administrative und organisatorische Fragen ging, von Bierhoff und Löw vertreten ließ, eskalierte der Zorn.
Die »Bild«-Zeitung nannte es »ein Unding und eine Unverschämtheit, dass es Klinsmann 94 Tage vor der WM noch immer nicht für nötig hält, seinen Arbeitsplatz endgültig nach Deutschland zu verlegen und es sich statt dessen unter der Sonne Kaliforniens gut gehen lässt« und fürchtete, »dass eine erfolgreiche WM mit ihm als Bundestrainer kaum noch möglich sein dürfte«. Damit schien das Boulevardblatt die Volksseele genau zu treffen, geht man nach etlichen bösen Briefen, die mich in diesen Tagen erreichten. »Was darf sich Herr Klinsmann noch erlauben?«, hieß es da. Und: »Von Teamchef Klinsmann geht eine Art Fatalismus aus.« Ein Dr. med. stellte die Frage: »Hat Herr Klinsmann einen Vertrag für einen
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