Die Zwanziger Jahre (German Edition)
Ganztags- oder wohl doch eher für einen Halbtagsjob unterschrieben?« Und der Herr Doktor schloss: »Das Experiment Klinsmann kann man bereits jetzt als gescheitert betrachten.«
Selbst die Politik fühlte sich berufen, Konsequenzen zu fordern. Einige Hinterbänkler aus verschiedenen Parteien wollten den glücklosen Teamchef vor den Sportausschuss des Bundestages zitieren, wo er erklären sollte, »was seine Konzeption ist und wie er Weltmeister werden will«. Schließlich sei der Bund der größte Sponsor der WM , und es gehe um ein »nationales Anliegen«. Ein anderer Abgeordneter, angeblich »Sportexperte« seiner Fraktion, wollte gar den Meldeschluss für den deutschen WM -Kader vorverlegen: »Die WM steht vor der Tür, da muss langsam mal klar sein, wer spielt.« Müßig zu erwähnen, dass alle diese Leute, die Klinsmann derart beschimpft haben, ihm nach der WM zu Füßen lagen.
Ich muss zugeben, dass auch ich an unserem Teamchef zu zweifeln begann. Zwar bekundete ich öffentlich meine Loyalität zu Jürgen Klinsmann, auch in den Antwortbriefen an die vielen Hilfs-Bundestrainer, aber intern legten wir uns einen Plan B zurecht. Wenn sich bei der WM tatsächlich ein sportliches Desaster abzeichnen sollte und Klinsmann nicht mehr zu halten wäre, so beschlossen wir, sollte kurzfristig Matthias Sammer das Ruder übernehmen.
Von diesem Plan B wussten nur vier Leute: Horst R. Schmidt, Franz Beckenbauer, Wolfgang Niersbach und ich. Wir hatten nicht mal Sammer selbst informiert; wenn es so weit gekommen wäre, hätte er es schon noch rechtzeitig erfahren. Zum Sportdirektor gab es keine Alternative. Joachim Löw, der Kotrainer, wäre im Falle eines Misserfolgs selbst verbrannt gewesen, also nicht vermittelbar, weil er ja ein Teil des Klinsmann’schen Konzepts war. Und vor einer neuerlichen Bundestrainersuche mit der ganzen medialen Begleitmusik hatte ich einen echten Horror. Ich wollte nie in die Situation kommen, als DFB -Präsident auch nur einen einzigen Tag ohne Bundestrainer dazustehen. Das ist mir gelungen; vielleicht auch deshalb, weil ich rechtzeitig mein Amt aufgegeben habe.
Auch wenn Matthias Sammer von unseren Geheimplänen nichts ahnte, bin ich sicher, dass er uns im Fall des Falles nicht im Stich gelassen hätte. Nicht weil er, wie ihm manche unterstellten, auf den Posten des Bundestrainers schielte und sich für den besseren Mann hielt. Aber sein Pflichtbewusstsein hätte ein Nein nicht zugelassen. Zum Glück sind wir alle nicht in die Verlegenheit gekommen.
Vor der WM und auch in den Jahren danach wurde viel spekuliert über das Verhältnis des Sportdirektors zur sportlichen Führung der Nationalmannschaft, und es gab auch einige offensichtliche Meinungsverschiedenheiten. In der Tat war die Reibung zwischen Matthias Sammer auf der einen Seite und Joachim Löw und Oliver Bierhoff auf der anderen beachtlich, aber sie konnten immer miteinander reden.
Dieses Trio aus Bundestrainer, Sportdirektor und Nationalmannschaftsmanager hat sich aus meiner Sicht bewährt. Alle drei müssen ihre Rollen sauber spielen und vor allem im Umgang mit den Medien vorsichtig sein, dass sie nicht ins Aufgabenfeld der anderen eingreifen. Das ist nicht immer einfach, denn alle drei spielen eine bedeutende Rolle in der Öffentlichkeit und sind medial stets präsent. In diesem Spiel mischt auch der eine oder andere Berater mit, der der Meinung ist, von Zeit zu Zeit müsste sein Schützling mal wieder ein Interview geben, um sich in Erinnerung zu bringen. Da ist die Versuchung groß, sich auch zu Dingen zu äußern, für die er eigentlich nicht zuständig ist. Um Schaden zu verhindern, müssen alle diese Interviews beim DFB autorisiert werden.
Der gravierendste Konfliktfall war die Zuständigkeit für die U21-Nationalmannschaft, der sich nach dem Ausscheiden in der EM -Qualifikation im Sommer 2010 entzündete. Joachim Löw sprach Rainer Adrion sein Vertrauen aus, obwohl der das enttäuschend schlechte Abschneiden und die 1:4-Pleite in Island zu verantworten hatte, mit der auch die Olympiateilnahme in London verspielt wurde. Matthias Sammer plädierte für einen Trainerwechsel. Die Frage, wem die Zuständigkeit für die Berufung des U21-Trainers zufiel, wurde zwischen Sammer und Oliver Bierhoff über die Zeitungen ausgetragen. Löw hielt sich zunächst zurück, hat aber deutlich seine Verantwortung im Interesse der Nationalmannschaft angemahnt.
Ich musste sehr viel Geduld aufbringen, um diese Konflikte aus der Welt zu schaffen.
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