Die Zwanziger Jahre (German Edition)
tatsächlich noch die eine oder andere kleine Panne, wie ich am eigenen Leib erfahren musste. Zum WM -Spiel Elfenbeinküste gegen Argentinien in Hamburg, auf das ich mich sehr gefreut hatte, kam ich mit meiner Assistentin Antje Wilde ziemlich spät und stieg am Eingang sofort in den bereitstehenden Fahrstuhl, obwohl wir genauso gut über die Treppe ein Stockwerk nach oben hätten gehen können. Gerade als wir den Aufzug in Bewegung setzen wollten, drängte sich noch eine Gruppe Ehrengäste aus der Elfenbeinküste, Männer und Frauen, zu uns hinein. Keine Maus hätte da mehr reingepasst. Es kam, wie es kommen musste, die Tür schloss sich, der Aufzug ruckte einmal kurz – und blieb stehen.
Das Bad in der Menge: Nationalspieler auf der Berliner Fanmeile, Sommer 2006 (©dpa Picture Alliance).
Zunächst reagierten alle Passagiere belustigt, doch dann wurde uns klar, dass keiner etwas von unserer misslichen Lage mitbekam. Dieser Aufzug war so überflüssig, dass ihn eigentlich niemand brauchte – die Gäste sahen, dass die Türen geschlossen waren, und nahmen die Treppe. Bei dem Lärm, der herrschte, hörte keiner unser Klingeln und Klopfen, und auch der Handy-Empfang im geschlossenen Fahrstuhl war gestört. Irgendwann erreichten wir dann doch Werner Hackmann, der schon auf mich wartete, und dann nahm die Rettungsaktion einen zügigen Verlauf.
Währenddessen setzte die deutsche Mannschaft ihren unerwarteten Siegeszug fort, schaltete im Achtelfinale die Schweden aus und im Viertelfinale die hoch favorisierten Argentinier in jenem denkwürdigen Elfmeterschießen. Und selbst das unglückliche Ausscheiden im Halbfinale gegen die Italiener ließ die Fans bei aller Enttäuschung nicht verzagen. Sie standen zu dieser Mannschaft und trugen sie dann in ein Spiel um Platz drei, das man nach dieser WM nie mehr als Verliererspiel betrachten würde.
Dieses kleine Finale, das nach dem Wunsch so mancher Funktionäre schon längst abgeschafft gehörte, wurde zu einem absoluten Höhepunkt des Turniers. Das wäre sicher nicht so gewesen, wenn unsere Mannschaft als Titelfavorit ins Turnier gegangen wäre. An diesem Abend in Stuttgart besiegte die deutsche Mannschaft Portugal in einem begeisternden Spiel mit 3:1. Oliver Kahn, den Klinsmann vor dem Turnier zum Torwart Nummer zwei degradiert hatte, stand zwischen den Pfosten, was der Mannschaftsleitung als ein Akt des Fair Play von vielen hoch angerechnet wurde.
Nach dem Schlusspfiff ging ich mit meiner Frau zu Fuß zurück ins Hotel. Wir schoben uns durch die Menge und genossen die Begeisterung und die freundschaftliche Atmosphäre. Man spürte, dass die Menschen zugleich traurig waren, dass alles schon vorbei war. Dieser Abend in Stuttgart war einer der schönsten, die ich in meiner Zeit auf der Bühne des Sports miterleben durfte. Nun hatte ich Gewissheit: Die jahrelangen Anstrengungen hatten sich gelohnt.
Der Nachfolger
Aber völlig frei war mein Kopf auch nach dem Schlusspfiff des WM -Endspiels nicht. Seit Tagen beschäftigte uns die T-Frage. Welcher Trainer sollte unsere Mannschaft zur EM 2008 führen? Machte Jürgen Klinsmann weiter? Ich konnte daran nicht glauben, auch wenn die öffentliche Meinung, die ihn noch wenige Wochen vor dem ersten WM -Spiel am liebsten zurück nach Kalifornien geschickt hätte, ihm jetzt als Heilsbringer huldigte. Mir war in unseren Gesprächen im Mannschaftsquartier klar geworden, dass für ihn selbst mit dem WM -Finale seine Mission beendet war. Er ist ein Projektarbeiter; wenn er seine Ziele im Wesentlichen erreicht hat, ist das Projekt für ihn abgeschlossen.
Ich war also auf Jürgen Klinsmanns Abschied vorbereitet, aber wer kam dann? Meine Vorgänger, von Hermann Neuberger über Egidius Braun bis zu Gerhard Mayer-Vorfelder, hatten regelmäßig schwere Wochen zu durchleben, wenn ein Trainerwechsel anstand. Das war selten reibungslos abgelaufen. Man denke an den Übergang von Jupp Derwall zu Franz Beckenbauer nach der EM 1984 , als unsere Mannschaft wie sechzehn Jahre später bereits in der Vorrunde ausgeschieden war. Alle waren gegen Derwall, doch der sah keinen Grund zum Rücktritt. Bis die »Bild«-Zeitung mit der Schlagzeile unter dem Beckenbauer-Foto aufmachte: »Franz: Ich bin bereit!«
Der Rücktritt von Berti Vogts nach der WM 1998 kam eigentlich nicht besonders überraschend, und doch hatte man sich offenbar keine Gedanken über die Nachfolge gemacht. Erich Ribbeck aus seinem Ruhestand in Teneriffa zu holen und dem damals 61-Jährigen
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