Die Zwanziger Jahre (German Edition)
und habe insgesamt mehr als zwanzig Spiele gesehen. Auch das war keine reine Entspannung, denn wir hatten ja unsere Gastgeberrolle zu erfüllen. Wir mussten die offiziellen Gäste begrüßen, zu ihren Plätzen geleiten und vor und nach dem Spiel betreuen – Fifa -Offizielle, Politiker aller Rangstufen und Glaubensrichtungen, ausländische Staatsgäste aus aller Welt.
Die Liste der Ehrengäste war lang, und die Leute wollten ihre Bedeutung auch spüren. Auch für uns war das eine Ehre, die Kanzlerin oder den Bundespräsidenten am Auto abzuholen, sie zu begrüßen und zu ihrem Platz zu begleiten. Dort übergaben wir sie an den nächsten Prominenten-Betreuer und gingen los, um den nächsten Ehrengast zu begrüßen, darunter hochrangige Persönlichkeiten aus Kirche, Kultur und Gesellschaft oder Altbundespräsidenten wie Richard von Weizsäcker und Walter Scheel. Die Begrüßung der ausländischen Gäste stellte sich als weniger problematisch heraus. Da reichte meist ein bisschen Small Talk, bei dem notfalls der Botschafter als Dolmetscher fungierte. Während des Spiels blieben die Gäste gern unter sich, vor allem wenn die Mannschaft ihres eigenen Landes beteiligt war.
Ein bisschen Bammel hatten wir angesichts der Ankündigung des iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad, sich persönlich bei der WM blicken zu lassen, falls seine Nationalmannschaft das Achtelfinale erreichte. Ahmadinedschad hatte sich unmöglich gemacht durch seine Leugnung des Holocaust und mit seinen Drohungen gegen Israel weltweit für Empörung gesorgt. Seine Anwesenheit in einem WM -Stadion wäre eine Provokation gewesen und hätte unser Protokoll vor eine schwere Aufgabe gestellt. Zumal deutsche Rechtsextreme bereits ankündigten, den iranischen Präsidenten willkommen zu heißen und für ihn zu demonstrieren.
Verhindern konnte Deutschland den ungewollten Besuch nicht, aber führende Politiker des Landes machten deutlich, dass Ahmadinedschad hierzulande absolut unerwünscht war. Auch ich wurde zum Thema befragt und nahm kein Blatt vor den Mund: »Wenn er denn kommt, dann muss man ihm in aller Deutlichkeit sagen, dass das, was er verkündet, absolut unakzeptabel, verbrecherisch und weit von der Realität entfernt ist.« Ahmadinedschad blieb zu Hause – er habe keine Zeit, nach Deutschland zu kommen, ließ sein Sprecher verlauten. Im Übrigen schieden die Iraner ja auch mit zwei Niederlagen und einem Unentschieden schon in der Vorrunde aus.
Ein anderes protokollarisches Problem, das mich persönlich betraf, hatte ich bereits vor der WM gelöst. Meiner Assistentin Antje Wilde war aufgefallen, dass das Fifa -Protokoll bei einem Spiel des Confederations Cups meine Frau Inge in der Reihe hinter mir platziert hatte. Auf Nachfrage stellte sich heraus, dass das so üblich war – die Funktionäre saßen immer in der ersten Reihe, ihre Partnerinnen und Partner stets in der zweiten. Ich bestand darauf, dass Inge den Platz neben mir erhielt. Sollten sie uns doch drei Ecken weiter zu den normalen Menschen setzen, wir brauchen diesen Super- VIP -Bereich nicht. Horst R. Schmidt konnte meine Beharrlichkeit nicht verstehen und stöhnte: Theo, du nervst wieder alle. Es kostete Antje Wilde viel Verhandlungsgeschick und die Damen vom Protokoll vor Ort in den Stadien einige Schweißperlen, doch am Ende saß meine Frau neben mir, wie wir das vorgesehen hatten. Alle anderen saßen hintereinander, wie es die FIFA wollte. Mit der Zeit wurde das »Sonderrecht« zur Gewohnheit, bei der WM wurden die entsprechenden Hinweise aus meinem Büro vom Protokoll anstandslos umgesetzt.
Nach dem ersten Spieltag aller Gruppen zogen wir ein erstes kleines Fazit, das durchweg positiv ausfiel. Von allen Seiten erhielten wir Lob für die gute Organisation und die friedliche und gewaltlose Atmosphäre. In Kaiserslautern sprach ich mit einem Polizeibeamten, der regelrecht ratlos wirkte: Ich weiß gar nicht, wozu wir hier sind, sagte er, so etwas habe ich noch nie erlebt. Nur bei Horst R. Schmidt, der immer bemüht war, die Spannung hochzuhalten und in unseren Anstrengungen nicht nachzulassen, war die Stimmung etwas getrübt. Er hatte nach dem ersten Spiel den Fahrdienstleiter angerufen und ihn nicht erreicht, weil der mit seinen Kollegen schon auf den Erfolg anstieß. Unser OK -Vizepräsident war stinksauer und faltete den Mann gehörig zusammen. Schließlich lagen ja noch 63 Spiele vor uns. In der Sprache der Fußballtrainer: Wir hatten noch nichts erreicht.
Und es gab
Weitere Kostenlose Bücher