Die Zwanziger Jahre (German Edition)
fertigzuwerden und Trauerarbeit zu leisten. Selbst Oliver Bierhoff, der in der Öffentlichkeit das Image eines stets coolen Managertypen hat, konnte seine Tränen nicht zurückhalten, als wir uns gemeinsam der Presse stellten.
Am Nachmittag sahen wir die Pressekonferenz mit dem Auftritt von Enkes Ehefrau Teresa, die mich und viele andere tief beeindruckt hat. Diese tapfere junge Frau durchbrach ein Tabu, indem sie keine Vorwürfe gegen andere erhob, sondern offen über die Erkrankung ihres Mannes sprach und anschaulich sichtbar machte, in welch einem Martyrium sie und ihre Familie in den letzten Jahren gelebt hatten. Robert Enke litt an der Volkskrankheit Depression – in seiner Welt herrschte nach außen heller Schein und im Innern Finsternis. Rückschläge als Profi in Spanien und in der Türkei, vor allem auch der plötzliche Herztod seiner zweijährigen Tochter Lara2006 , hatten die Krankheit verschlimmert.
Am Ende hatte er Angst, dass er wegen seiner Depressionen das Sorgerecht für die adoptierte Tochter Leila verlieren würde. Dazu kam wohl der ständige Leistungsdruck des Fußballgeschäfts, in dem man sich keine Schwäche, keine Auszeit leisten darf, wenn man seine Position nicht aufs Spiel setzen will. Selbst in den letzten Tagen seines Lebens hat Robert Enke Freunden und Verwandten vorgegaukelt, es ginge ihm gut und er habe seine Krankheit im Griff. Dabei stand sein Entschluss schon fest, sich auf die Gleise zu stellen und sich von einem Zug überfahren zu lassen.
Es waren schreckliche Stunden und Tage. Wir besuchten den Gottesdienst in Hannover und hörten die beeindruckende Predigt der damaligen Landesbischöfin Margot Käßmann, die ihre Zuhörer beschwor: »Fußball allein ist nicht unser Leben, sondern Liebe zueinander, Gemeinschaft, sich gehalten wissen auch in allen Schwächen unseres Lebens, das zählt. Unser Herz erschrickt ja auch, weil wir an diesem entsetzlichen Tod von Robert Enke erkennen: Unser Leben ist zutiefst zerbrechlich und gefährdet. Hinter Glück, Erfolg und Beliebtheit können abgrundtiefe Einsamkeit und Verzweiflung liegen, die Menschen an ihre Grenzen führen. Wie traurig ist es, dass jemand nicht wagt, über Depressionen und Krankheit zu sprechen, weil das als Schwäche angesehen wird. Krankheit und Leid gehören zum Leben.«
Wie recht sie hatte! Fußball ist nicht alles. Am Sonntag fand im Stadion in Hannover die Trauerfeier statt, die fast einem Staatsbegräbnis ähnelte und von fünf Fernsehstationen live übertragen wurde. Mehr als 40 000 Menschen saßen auf den Rängen, Tausende mehr drängten sich draußen vor den Leinwänden. Hier wollte und musste auch ich eine Rede halten, über die im Nachhinein viel geschrieben und gesprochen wurde. Ich habe diese Rede ohne Vorbereitung aus dem Gefühl heraus formuliert. Das fiel mir nicht schwer, weil die ausgesprochenen Gedanken präsent waren, weil ich das Geschehene miterlebt und verinnerlicht hatte, und weil ich eine Botschaft auszusenden hatte. Die Botschaft lautete, die Zeit der nachdenklichen Stille zu nutzen, um den Menschen deutlich zu machen, dass menschliches Zusammenleben sich an anderen Werten als Kommerz und Öffentlichkeit orientieren muss. Der Fußball ist das schönste Spiel, das die Menschheit kennt, aber er braucht Verantwortung, er braucht Maß und Balance und nicht so viel Sprücheklopfen, sich über andere lustig machen bis zum hassvollen Beschimpfen. Maß und Balance, da sollten auch manche Funktionäre im Bundesligaalltag bessere Vorbilder sein. Dies ist der Wortlaut der Rede, die ich an jenem 14. November 2009 im Stadion von Hannover hielt:
»Liebe Frau Enke, liebe Familienangehörige, liebe Trauergemeinde!
Liebe Fans von Hannover 96! Ich danke Euch, dass Ihr da seid. Wir sind gekommen, um Abschied zu nehmen von Robert Enke.
Die Bilder dieser Woche, dieser Tage stehen vor unseren Augen, vor Euren und auch vor meinen: Diese unfassbare Nachricht am Dienstagabend. Am nächsten Tag die Gespräche mit unseren Nationalspielern: Wie geht es weiter? Was können wir tun? Es gibt die Zeit, die wir brauchen, der Trauer, um dies alles zu verkraften.
Mit Teresa Enke und Martin Kind, dem Präsidenten von Hannover 96 (©dpa Picture Alliance).
Die Pressekonferenz am Nachmittag. Meinen großen Respekt, liebe Frau Enke, für das, was Sie glaubten, für Ihren Mann und, ich denke, auch für uns tun zu können.
Die Bilder von der Unfallstelle, die uns betroffen machten. Das Mitgefühl für alle, die unbeteiligt doch
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